Frage 117:
Sie beschuldigen Allah [den Gott des Korans und des islamischen Glaubens] unbarmherzig zu sein. Wie können Sie aber im christlichen Glauben die Sintflut erklären? Hat Ihr liebevoller Gott mit liebevollem Regen die Menschen umgebracht?
Antwort:
Im ersten Paragraphen der Antwort auf die vorherige Frage haben wir die offizielle Aussage des zweiten Vatikanischen Konzils zitiert, in der die katholische Kirche feierlich ihre Hochachtung vor dem Glauben der Muslime an den barmherzigen Gott zum Ausdruck bringt. Es kann also keine Rede davon sein, dass die katholische Kirche den Gott des Koran und des Islam beschuldigt, unbarmherzig zu sein.
Die im Buch Genesis (6,5 – 9,17) geschilderte Sintflut war nach der Auffassung des Verfassers des Buches Genesis nicht einfach eine Naturkatastrophe. Er benützt die uralte, im Volke tradierte Erzählung als ein Vehikel um ein grundlegendes Thema des Glaubens des Volkes Israel zum Ausdruck zu bringen: Gottes Urteil in und durch die Ereignisse der Geschichte. Wenn wir die Darstellung des Buches Genesis mit dem Gilgamesh Epos oder mit anderen alten Versionen der Erzählung von der legendären Flut vergleichen, stellen wir sogleich die markanten Unterschiede zwischen diesen Erzählungen und der biblischen Darstellung fest. Sicher, da gibt es naive anthropomorphe Details wie z. B. die Aussage, dass Jahwe die Tür der Arche schloss (7,16b), oder dass er den Wohlgeruch des Opfers des Noah roch (8,21). Aber diese Details – übernommen von der populären Tradition, die der Autor benutzte – verdunkeln mitnichten die zentrale Sicht, dass Jahwe, der Eine Gott (im Kontrast zu den vielen Göttern Babylons), auf der Bühne der Menschheitsgeschichte mit dem Ziel handelt, seine gute Absicht schlussendlich zu verwirklichen (im Unterschied zu der Launenhaftigkeit der babylonischen Götter).
Ferner ist Gottes Urteil auch von der Sorge um den Menschen bestimmt. Dies brachte schon die Erzählung von Eden klar zutage, wo auf Jahwes Fluch die Bekleidung Adams und Evas mit Röcken aus Fellen folgt (3,21), und wo in der Erzählung von Kain Jahwes Urteil dadurch gemildert wird, dass er auf Kains Stirn ein beschützendes Zeichen setzt (4,15). Vergleichbar findet in der Geschichte der Sintflut Noah Gnade bei Gott. Das Boot, in das er seine Familie und die Tierpaare nimmt, waren ein Zeichen der Absicht Jahwes, einen „Rest“ zu retten, mit dem er einen neuen Anfang in der Geschichte setzen wird. Die Erzählung endet mit der Aussage, dass, obwohl „das Trachten des Menschen böse ist von Jugend an“, Jahwe nie wieder die Erde mit einem solch strengen Urteil verfluchen wird. Die Gesetze der Natur – „Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ – werden Zeichen seiner Bundestreue sein (8,20-22).