German
English
Turkish
French
Italian
Spanish
Russian
Indonesian
Urdu
Arabic
Persian
Home     BIBEL- UND KORANSTELLEN     FRAGENÜBERSICHT     Literatur     IMPRESSUM

Frage 204:

Im Neuen Testament steht, dass die Frauen in der Kirche ihren Kopf bedecken sollen. Warum leistet man dieser Anweisung nicht Folge?

 

Antwort:

Unsere Antwort gliedert sich in zwei Teile:

 

Sind alle Weisungen und Vorschriften der Bibel, die das sittliche Verhalten betreffen, unveränderlich gültig?

 

Der an sich unbedingte Geltungsanspruch ethischer Normen stellt uns vor die Frage, ob Weisungen aus früherer Zeit, inklusive der in biblischen Texten formulierten Weisungen, noch verpflichtende Orientierung für den heutigen Menschen sein können bzw. ob sie in ihrer Formulierung ausnahmslos für jede Situation zutreffen. Normen bedürfen immer der Auslegung und der richtigen Anwendung. Dabei stellt sich manchmal heraus, dass einzelne Regelungen früherer Zeiten (zum Beispiel solche, die den Stand der Sklaven betrafen, oder die Stellung der Frau in der Gesellschaft und damit verbunden Vorschriften) heute keine Geltung mehr haben können.

 

Es kommt auch vor, dass Normen unter sich verändernden Umständen nicht mehr den Wert schützen helfen, für dessen Verwirklichung sie ursprünglich formuliert worden sind. Hier kann ein Wandel der Verhältnisse auch zum Wandel oder gar zum Wegfall einer früher geltenden Norm führen. So konnte in bestimmten natural-wirtschaftlichen Systemen das Zinsnehmen zu Missbrauch und Erpressung führen, während es in anderen Wirtschaftsystemen durchaus gerecht ist, nämlich immer dann, wenn geliehenes Geld „fruchtbar“ wird und Zinsen abwirft.

 

„Der unbedingte Geltungsanspruch von Normen schließt nicht aus, dass Güter, die durch eine Norm geschützt werden sollen miteinander in Konkurrenz geraten. Bei der sittlichen Urteilsfindung muss dann bedacht werden, welchem Gut im Einzelnen der Vorrang zu geben ist.

 

Auch die Art und Weise, wie der Mensch in verschiedenen Lebensbereichen gesehen wird, kann sich wandeln. So gibt es zwischen der Sicht der menschlichen Sexualität zur Zeit des heiligen Augustinus (354-430) oder des Thomas von Aquin (1224-1274) und der Sicht des Zweiten Vatikanischen Konzils große Übereinstimmungen, aber es gibt auch deutliche Unterschiede. Letztere spiegeln die Erweiterung medizinischer und anthropologischer Erkenntnisse, aber auch kulturell Erfahrungen wider, die auf die Bewertung der Sexualität und der Ehe großen Einfluss gewonnen haben. Eine Humanisierung der menschlichen Sexualität und der ehelichen Gemeinschaft, wie sie das Zweite Vatikanische Konzil aufzeigt, hätten Augustinus oder Thomas von Aquin und sogar das kirchliche Rechtsbuch von 1917 so noch nicht sehen können. Daran wird deutlich, dass das Ethos in unterschiedlichen geschichtlichen Stadien eine unterschiedliche Gestalt gewinnt, in der Bewährtes bewahrt wird und Neues sich bewährt. […]

 

Wir leben heute in einer Zeit großer Umbrüche des Empfindens, Denkens und Wertens. In der Vielfalt der Meinungen, Anschauungen und Überzeugungen ist es nicht immer einfach, das herauszufinden, was vor Gott sittlich gut und richtig ist. Hier müssen wir uns [d.h. in diesem hier konkret: die katholischen Christen] auf die Quellen des Glaubens und auf die sittlichen Überzeugungen des ganzen Gottesvolkes besinnen. Wo ein erweitertes Verständnis und eine vertiefte Auslegung von bisher geltenden Normen notwendig ist, muss immer der Wert beachtet werden, der geschützt werden soll (vgl. dazu die Enzyklika „Veritatis splendor“ Papst Johannes Pauls II vom Jahre 1993, no. 53). Ein Beispiel dafür gibt das Zweite Vatikanische Konzil in der Frage der Religions- und Gewissensfreiheit. Nach der früheren Auffassung wurde dem subjektiv Irrenden zu wenig Rechnung getragen. Hier hat die Neuorientierung nicht den Sinn gehabt, bleibende Moralprinzipien aufzuweichen, sie hat vielmehr in einer fälligen Neuinterpretation den Anspruch des Evangeliums deutlicher vernehmbar gemacht und seine Verbindlichkeit in grundlegenden Menschenrechtsnormen klargestellt.“ (Katholischer Erwachsenen-Katechismus, Bd. 2, 103f)

 

Von diesen Gesichtspunkten her erhellt, das viele normative Aussagen der Hl. Schrift, vor allem solche, die kulturell bedingt sind, immer wieder neu zu bedenken und interpretieren sind. Dies gilt gerade auch für die Ausführungen des Apostels Paulus zur Stellung der Frau in Familie und Gemeinde.

 

Was genau sagt der biblische Text?

 

Der Text, auf den sich der Fragende hier bezieht, ist wohl 1 Korinther 11, 3-16. Hier spricht Paulus anscheinend über den Schleier der Frauen. Der ausgewiesene Fachmann für die Exegese der paulinischen Briefe, Prof. Dr. Norbert Baumert, fasst seine Forschungen zu diesem Text folgendermaßen zusammen:

 

„Wieviel ist um diesen Text gekämpft worden! Oft wurden Frauen unter Berufung auf ihn in die Schranken gewiesen oder genötigt, bis zu dem Extrem, beim Betreten der Kirche ein Stück Papier auf den Kopf legen zu müssen, falls die kein Tuch dabei haben. […]

 

Hintergrund der Ermahnung des Apostels ist die Tatsache, dass gelegentlich mitten in einer Gebetsversammlung eine Frau, wenn sie laut betete und ein prophetisches Wort sprach, ihr Haar auflöste. Das wirkte auffällig. Bei den Griechen war es nicht unbekannt, dass Propheten und Prophetinnen, um die Bedeutsamkeit ihrer prophetischen Rolle zu unterstreichen, zuweilen ihr Haar auflösten und heftig gestikulierten, so dass die Haare – mehr oder weniger eindrucksvoll – um Gesicht und Nacken flogen. Paulus rügt dies bei Männern und Frauen (!), aber da die Männer um diese Zeit nur (noch) selten langes Haar trugen, formuliert er ihr Fehlverhalten anders: Eitelkeit und Wichtigtuerei kann sich beim Mann darin zeigen, dass er »sich mit seinem Kopf beschäftigt«. Die Frau aber trug damals immer langes Haar, und dieses war, zumindest bei der Ehefrau, zusammengebunden oder hochfrisiert. So »bedeckte« die Frau normalerweise mit ihren Haaren ihren »Kopf« (nicht mit dem Schleier die Haare). Diese Redeweise wäre für einen Mann so nicht passend, weil er zumindest seine Haare nicht hochfrisiert trug. Zu allen Zeiten aber gab es Männer, die keine Haare mehr haben, die den »Kopf« (oben) »bedecken«. Ob nun mit langen oder kurzen, vielen oder wenigen Haaren, ein Redner kann sich stets in Positur setzen oder dramatisierend Eindruck schinden.

 

Ist also das Gestikulieren mit dem Kopf beim Beten und prophetischen Reden in jedem Fall unpassend, so betrifft dies bei der Frau zugleich ihre soziale Stellung, und zwar stärker als beim Mann, weil die frisierten Haare auch ein Zeichen der verheirateten Frau sind. Zugleich ist das Auflösen auch eine gewisse Provokation der Männer, wie aus dem Hinweis auf die »Geschorene« (Ehebrecherin oder Prostituierte) hervorgeht. Zudem scheint der tatsächliche Anlass nur ein Fehlverhalten von Frauen gewesen zu sein, da die Männer, obwohl entsprechendes auch bei ihnen tadelnswert ist, keine Rüge erhalten.

 

Interessant ist nun die affektive Reaktion des Apostels und wie er eine Zurechtweisung – echt rabbinisch – biblisch und theologisch begründet. Da es um den »Kopf« der Frau geht, sucht er biblische und theologische Gedanken, in denen dieses Stichwort vorkommt, und spielt mit zwei Bedeutungsnuancen, die wir im Deutschen am besten durch Kopf (physiologisch, organisch) und Haupt (interpersonale Beziehung) charakterisieren können. Im Griechischen aber steht beide Male kephal?. Das Wort hat nicht die Bedeutung ‚Oberhaupt’, als Vorrangstellung, sondern meint eine Ursprungsbeziehung (wie: die Quelle ist ‚Haupt’ des Flusses). Paulus denkt hier vom zweiten Schöpfungsbericht her (Genesis 2, 21f). Auch geht er davon aus, dass seine Leser in diesen Verhaltensfragen ähnlich empfinden wie er und daher seine Argumentation verstehen und akzeptieren werden. Er ist selbst im griechischen Milieu aufgewachsen und weiß, was ‚man’ in diesem Kulturraum als (un-)gehörig empfindet. Ferner geht es nicht um ‚die Frauen’ schlechthin, sondern um einzelne, denen es nach seiner Einschätzung an Taktgefühl mangelt.

 

Der Text ( 1 Kor 11, 3-16): (3) Mir liegt viel daran, dass ihr euch bewusst seid, dass jedes Mannes Haupt Christus ist, Haupt einer Frau aber der Mann und Haupt des Christus Gott. (4) Wie jeder Mann, wenn er beim Beten oder prophetischen Reden mit seinem Kopf kokettiert, sein Haupt (nämlich Christus) entehrt, (5) so entehrt jede Frau, die beim (lauten) Beten oder prophetischen Reden (in der Versammlung) ihr Haar auflöst, ihr Haupt (nämlich den Mann); ist es doch das gleiche, wie wenn sie geschoren würde. (6) Wenn nämlich eine Frau ihren Kopf nicht (mit ihren Haaren) verhüllt, so soll sie sich gleich die Haare abschneiden lassen. Wenn es aber für eine Frau eine Schande ist, sich die Haare abschneiden oder den Kopf kahlscheren zu lassen, dann soll sie ihren Kopf (mit der Frisur) einhüllen. (7) Ein Mann ist zwar ,wie ihr wisst, nicht verpflichtet, den Kopf einzuhüllen, da er Bild und Ausstrahlung (Manifestation, sichtbarer Glanz) Gottes ist; die Frau aber ist Ausstrahlung (‚Glanzstück’ und Ruhm) des Mannes. (8) Es ist (existiert) ja nicht der Mann aus der Frau, sondern die Frau aus dem Mann; (9) auch geschaffen wurde bekanntlich nicht ein Mann aufgrund der Frau, sondern eine Frau aufgrund des Mannes.(10) Deswegen ist die Frau verpflichtet, ihren Kopf in Zucht zu behalten aufgrund (der Anwesenheit) der Engel. (11) Übrigens: Weder (ist) Frau ohne Mann noch Mann ohne Frau im Herrn; (12) denn wie die Frau (Eva) aus dem Mann (Adam), so auch der Mann (Christus) durch die Frau – das Ganze aber aus Gott. (13) Urteilt selbst! Gehört es sich, dass eine Frau mit aufgelöstem Haar (öffentlich) zu Gott betet? (14) Auch die Natur lehrt euch nicht, dass es für einen Mann, wenn er das Haar lang herabhängen lässt, für ihn eine Schande wäre, (15) für eine Frau hingegen, wenn sie das Haar lang fallen lässt, eine Ehre sei; denn das Haar ist (!) als Decke (zum Schutz) gegeben. (16) Wenn aber jemand streiten will: Wir haben eine derartige Gewohnheit nicht, und auch nicht die Gemeinden Gottes.

 

Wir sehen, nun wirkt der Abschnitt in sich geschlossen und hat eine klare Linie.“ (Norbert Baumert, Frau und Mann bei Paulus. (Überwindung eines Missverständnisses. Würzburg: Echter, 1992. S. 166-168.)

 

N. Baumert fügt seinen zitierten Ausführungen in einem Brief an C.W. Troll vom 14. 10. 2009 hinzu:

„Ein weiteres Beispiel aus 1 Kor 14,33-36: Dort liest man gewöhnlich: „Die Frauen sollen in den Versammlungen schweigen“ (Dt. Einheitsübersetzung). Aber in 1 Kor 11,5 geht Paulus davon aus, dass sie in der Versammlung laut betet und prophetische Worte sagt. Doch ist in 14,33 nicht die Gebetsversammlung gemeint, sondern dort ist das Wort in seinem ursprünglichen Sinn gemeint: ekkl?sía = beschlussfassende Versammlung. So heißt in einer Stadt die offizielle Bürgerversammlung; hier nun in einer Hausgemeinde. Und da durften keine Frauen anwesend sein. Außerdem: Nicht Paulus legt ihnen dieses Schweigen auf, sondern er bezeugt nur, was allgemein gültig ist: Er ist von der Gemeinde-Ordnung nicht gestattet. Und die Begründung: Nicht weil es Gottes unveränderliche Ordnung wäre, sondern weil es weder in der jüdischen Tradition noch in der hellenistischen Gesellschaft üblich ist, dass Frauen in solchen Versammlungen anwesend sind oder gar mitreden. Dahinter steht der Grundsatz: ‚Tut das, was unter euren Umständen als passend und angemessen empfunden wird‘. Da sich aber nun die Umstände geändert haben, würde Paulus heute nach denselben Grundsätzen sagen, die Frau soll in der beschlussfassenden Gemeindeversammlung (‚Gemeinderat‘) reden! “

Kontakt

J. Prof. Dr. T. Specker,
Prof. Dr. Christian W. Troll,

Kolleg Sankt Georgen
Offenbacher Landstr. 224
D-60599 Frankfurt
Mail: fragen[ät]antwortenanmuslime.com

Mehr zu den Autoren?