Frage 207:
Wie sieht der Vatikan den Laizismus (Säkularismus)?
Antwort:
Unter Laizismus versteht man die politische Richtung (bes. In Frankreich), die die Freiheit von religiösen Bindungen im öffentlichen Leben sowie die Trennung von Kirche und Staat fordert. Unter Säkularisierung versteht man dagegen die Überführung kirchlichen Besitzes in weltliche Hand, wie dies z. B. unter der Herrschaft Napoleons Bonapartes (1769-1821) systematisch vollzogen wurde. Derselbe Begriff wird in einem anderen Sinn auch für eine Verweltlichung des Lebens gebraucht. Der Begriff Säkularismus wird im Deutschen heutzutage oft im Sinne des englischen Begriffs secularism als Indifferenz gegenüber, oder Ablehnung oder Ausschluss von Religion und religiösen Rücksichten bzw. Erwägungen verstanden. Von daher erklärt sich, dass der Begriff Säkularismus in den vom Islam geprägten Sprachen (Arabisch, Persisch. Türkisch, Urdu, Indonesisch) mit Begriffen bezeichnet wird, die genau genommen, Religions- oder gar Gottlosigkeit bedeuten.
Ausgehend vom Begriff Laizismus wird unsere Antwort darlegen, was die katholische Kirche heute über das Verhältnis von Kirche und Staat lehrt. In Kapitel 9 (Geistlichen und Weltlich), III, 2 auf dieser Webseite ist schon Grundsätzliches zu unserer Frage gesagt worden. Wir fügen hier aus Kapitel acht des Kompendium(s) der Soziallehre der Kirche hinzu:
„VI. DER STAAT UND DIE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN
A) DIE RELIGIONSFREIHEIT; EIN GRUNDRECHT DES MENSCHEN
421 Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Katholische Kirche auf die Förderung der Religionsfreiheit eingeschworen. Die Erklärung „Dignitatis humanae“ führt in ihrem Untertitel aus, dass sie „das Recht der Person und der Gemeinschaften auf gesellschaftliche und bürgerliche Freiheit in religiösen Dingen“ verkünden will. Damit diese gottgewollte und in die menschliche Natur hineingeschriebene Freiheit ausgeübt werden kann, darf sie nicht behindert werden, denn „anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als kraft der Wahrheit selbst“. (II. Vatikanisches Konzil, Erkl. Dignitatis humanae 1) Die Würde der Person und das Wesen der Suche nach Gott machen es erforderlich, dass alle Menschen im Bereich der Religion von jeglichen Zwang frei sein müssen. (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 2106). Die Gesellschaft und der Staat dürfen eine Person nicht dazu zwingen, gegen ihr Gewissen zu handeln, und sie dürfen sie auch nicht daran hindern, so zu handeln, wie ihr Gewissen es ihnen vorschreibt. (Vgl. DH, 3 und KKK, 2108) Die Religionsfreiheit aber ist weder ein moralischer Freibrief, Irrtümern anzuhängen, noch ein implizites Recht auf Irrtum. (vgl. KKK, 2108)
423 Aufgrund ihrer historischen und kulturellen Beziehungen zu einer Nation kann eine Religionsgemeinschaft von Seiten des Staates eine besondere Anerkennung erfahren; eine solche Anerkennung darf auf keinen Fall in ziviler oder sozialer Hinsicht zur Diskriminierung anderer religiöser Gruppen führen. (II Vatik. Konzil, DH, 6; KKK, 2107) Das Bild der Beziehungen zwischen den Staaten und den religiösen Organisationen, das das Zweite Vatikanische Konzil entworfen hat, entspricht den Forderungen des Rechtsstaates und den Normen des internationalen Rechts. Es ist der Kirche wohl bewusst, dass diese Sichtweise nicht von allen geteilt wird. Das Recht der Religionsfreiheit wird leider von zahlreichen Staaten verletzt, „so dass Religionsunterricht erteilen, erteilen lassen oder empfangen sogar zum Vergehen wird, das mit Sanktionen zu rechnen hat.“
B) KATHOLISCHE KIRCHE UND POLITISCHE GEMEINSCHAFT
a) Autonomie und Unabhängigkeit
424 Die Kirche und die politische Gemeinschaft sind, obwohl beide sich in sichtbaren Organisationsstrukturen ausdrücken, sowohl, was ihren Aufbau, als auch was ihr Ziel betrifft, unterschiedlich. Das Zweite Vatikanische Konzil hat feierlich bekräftigt: „Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom“.(Gaudium et spes 76) Die Kirche ist in Formen organisiert, die geeignet sind, die spirituellen Bedürfnisse ihrer Gläubigen zu befriedigen, während die verschiedenen politischen Gemeinschaften Beziehungen und Einrichtungen hervorbringen, die im Dienst all dessen stehen, was sich auf das irdische Gemeinwohl erstreckt. Die Autonomie und Unabhängigkeit der beiden Realitäten zeigt sich auf der Ebene der Ziele mit besonderer Deutlichkeit.
Die Pflicht, die religiöse Freiheit zu achten, setzt voraus, dass die politische Gemeinschaft der Kirche den nötigen Handlungsspielraum lässt. Auf der anderen Seite hat die Kirche im Hinblick auf die Struktur der politischen Gemeinschaft keine spezifischen Zuständigkeitsbereiche: „Die Kirche achtet die berechtigte Autonomie der demokratischen Ordnung. Es steht ihr nicht zu, sich zu Gunsten der einen oder anderen institutionellen oder verfassungsmäßigen Lösung zu äußern“ (Johannes Paul II, Enzyklika Centesiumus Annus, 47) und es ist auch nicht ihre Aufgabe sich mit politischen Programmen auseinanderzusetzen, es sei denn im Hinblick auf ihre religiösen oder moralischen Implikationen.
b) Zusammenarbeit
425 Die beiderseitige Autonomie der Kirche und der politischen Gemeinschaft führt nicht zu einer Trennung, die ihre Zusammenarbeit ausschließen würde: Beide dienen, wenn auch unter anderen Vorzeichen, der personalen und sozialen Berufung derselben Menschen. Die Kirche und die politische Gemeinschaft drücken sich in Organisationsformen aus, die kein Selbstzweck sind, sondern im Dienst des Menschen stehen, um ihm die uneingeschränkte Wahrnehmung der mit seiner Identität als Christ und als Bürger verbundenen Rechte und eine korrekte Erfüllung der entsprechenden Pflichten zu ermöglichen. Die Kirche und die politische Gemeinschaft können ihren Dienst „zum Wohl aller umso wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen“. (Gaudium et spes 76).
426 Die Kirche hat das Recht auf die juristische Anerkennung ihrer Identität. Gerade weil ihre Sendung alle menschlichen Bereiche betrifft, fordert die Kirche, die sich „mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden“ (Gaudium et spes, 1) fühlt, die Freiheit ihr moralisches Urteil über diese Bereiche abzugeben, sooft die Verteidigung der Grundrechte der Person oder des Heils der Seelen dies erforderlich macht.(vgl. CIC, can.747, § 2)
Deshalb verlangt die Kirche: die Freiheit der Meinungsäußerung, der Lehre, der Evangelisierung; die Freiheit, öffentlich Gottesdienst zu halten; die Freiheit, sich zu organisieren und eigene, interne Regelungen zu treffen; die Freiheit der Wahl, Ausbildung, Ernennung und Versetzung ihrer eigenen Amtsträger; die Freiheit, Sakralbauten zu errichten; die Freiheit, Güter zu erwerben und zu besitzen, die ihrer eigene Tradition angemessen sind; die Freiheit, sich nicht nur zu religiösen, sondern auch erzieherischen, kulturellen, medizinischen und karitativen Zwecken zusammenzuschließen.
427 Um möglichen Konflikten zwischen der Kirche und der politischen Gemeinschaft vorzubeugen oder ihnen die Schärfe zu nehmen, hat die juristische Erfahrung der Kirche und des Staates verschiedentlich stabile Formen des Miteinanders sowie Mittel aufgezeigt, die geeignet sind, harmonischen Beziehungen zu gewährleisten. Diese Erfahrung ist ein wesentlicher Bezugspunkt für all die Fälle, in denen der Staat den Anspruch erhebt, in das Aktionsfeld der Kirche einzudringen, ihr freies Wirken zu behindern oder sie sogar offen zu verfolgen und ebenso für die Fälle, in denen sich kirchliche Organisationen dem Staat gegenüber nicht korrekt verhalten.“ (Kompendium der Soziallehre der Kirche Roma: Libreria Editrice Vaticana/Freiburg: Herder, 2004).