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Frage 250

Wie könnt ihr behaupten, dass ihr Jesus folgt, wenn ihr seine Gesetze nicht einhaltet und nicht tut, was er tat? Zum Beispiel war er beschnitten, er aß kein Schweinefleisch. Und dann kommt Paulus und ändert die Gesetze, obwohl Jesus nicht gekommen ist um die Gesetze aufzuheben -- und Paulus war nicht einmal ein richtiger Jünger; Er war sogar gegen Jesus!? Wieso gehorcht ihr den Worten des Paulus, obwohl sie doch nur seine eigene Meinung darstellen?

 

Unsere Antwort gliedert sich in zwei Teile.

Zunächst geht es um (A) Das Verhältnis des Paulus zu Jesus. War Paulus tatsächlich ‚gegen Jesus‘ und seine Lehre? Dann beantworten wir die Frage: (B) Steht die Lehre des Paulus über das Gesetz und seine Bedeutung im Widerspruch zur Lehre Jesus über das Gesetz und zur Praxis Jesu?

 

 

 

A. Das Verhältnis des Paulus zu Jesus.

 

Keine Figur dominiert das Neue Testament so sehr wie Paulus, der ‚Apostel der Heiden‘. Dies ist eine Bezeichnung, die Paulus sich selbst gegeben hat (Römerbrief 11: 13). Es war in der Tat vor allem er, der die Botschaft Jesu der nicht-jüdischen Welt vermittelt hat. Er begann sein aktives Leben als Mitglied der Partei der Pharisäer, die die Tradition der Väter leidenschaftlich verteidigte. Weil er in der von Jesus inaugurierten Bewegung eine tödliche Gefahr für diese Traditionen sah, „verfolgte er“, nach seinen eigenen Worten (Gal 1: 13), „ die Kirche Gottes maßlos und suchte sie zu vernichten.“ Als er dann aber plötzlich „die Offenbarung Jesu Christ“ erhielt, die ihn von der Verfolgung der Christen absehen ließ, erhielt er gleichzeitig den Auftrag , Jesus den Christus „unter den Heiden zu verkünden“ (Gal 1: 12, 16). Darauf verwendete er die ihm noch verbleibenden 30 Jahre seines Lebens.

 

Von den 13 Briefen im Neuen Testament, die den Namen des Paulus als ihrem Autor tragen, sind vier (Galaterbrief, Erster und Zweiter Korintherbrief und Römerbrief) von herausragender Bedeutung. Oft werden sie die Hauptbriefe Pauli genannt. Niemand bezweifelt, dass Paulus der direkte Autor dieser Briefe ist. Sie enthalten die Grundlage seiner theologischen Sicht und Lehre. Alle Briefe des Paulus stellen Gelegenheitsschriften dar. Sie sind in ganz bestimmten Situationen für ganz bestimmte Gemeinden verfasst. Bis zu einem gewissen Grad stellt der Brief an die christliche Gemeinde in Rom (i.e. der Römerbrief) eine Ausnahme dazu dar, sofern er an so etwas wie ein systematisches Lehrschreiben grenzt. Jeder dieser Briefe betont die Elemente der Lehre des Paulus, die er für die angesprochene Situation und Gemeinde besonders relevant hielt. Diese oder jene Phase seiner Lehre hat somit unter dem Einfluss der Situation, in die der jeweilige Brief geschrieben wurde, ihre besondere Form erhalten.

 

 

 

Wenn wir sagen, dass Paulus die Botschaft Jesu an die Welt der Heiden vermittelt hat, dann entsteht sofort die Frage, ob seine Lehre eine verlässliche Darstellung der Botschaft Jesu sei. Wie die vorliegende Frage erkennen lässt, besteht eine weit verbreitete und zuweilen mit dem Brustton der Überzeugung vorgetragene Sicht, dass Paulus die angeblich lichte und leicht verständliche Botschaft Jesu in eine angeblich dunkle, rigide und dogmatisch komplizierte Glaubenslehre für die von ihm selbst gegründete, neue Kirche verwandelt habe. Diese Lehre habe Paulus den Konvertiten zu seiner Kirche -- mit furchteinflößenden Sanktionen versehen -- auferlegt. Entspricht diese Sicht aber dem, was wir aus den genannten Schriften des Paulus selbst erheben können?

 

 

 

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Jesus und Paulus. Paulus war nicht der Messias, der Sohn Gottes, der Heiland der Welt. Jesus und Paulus waren beide Juden. Sie unterschieden sich sicherlich auf der Ebene der menschlichen Erfahrung im Hinblick auf Geburt und Familienhintergrund, Erziehung und Ausbildung, sozialem Umfeld, Temperament und Diktion. Beide jedoch schockierten die Wächter des Gesetzes Israels durch die Freiheit, mit welcher sie mit diesem Gesetz umgingen und durch ihre Weigerung zu akzeptieren, dass gottesfürchtige Menschen Sicherheit vor Gott in ihrer eigenen Rechtschaffenheit finden können. Sie beide standen auf Kriegsfuß mit dem Establishment des Hohen Priesters in Jerusalem. Beide wurden hingerichtet aufgrund der Verurteilung durch römische Gerichte. Vor allem aber: Paulus erkannte zutiefst die Innerlichkeit der Lehre Jesu, sofern er seinem Beispiel folgend eine Botschaft des Heils für die außerhalb des Gesetzes Stehenden verkündete.

 

Jesus begann seine Verkündigung in Galiläa mit der Botschaft, die festgesetzte Zeit sei jetzt erfüllt sei und die Herrschaft Gottes sei mit ihm und in ihm angekommen (Mk 1: 14f). Paulus schreibt den Galatern in vergleichbarer Weise: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen eingeborenen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen und damit wir die Sohnschaft erlangen.“ (Gal 4: 4f). Während also die Substanz beider Botschaften dieselbe ist, gibt es doch einen Wechsel in der Perspektive: der ursprüngliche Verkünder ist der Verkündete geworden, denn inzwischen haben sich Karfreitag und Ostern, Tod und Auferstehung Jesu, ereignet. In der Botschaft Jesu und der des Paulus gilt es somit nicht zwei Typen des Glaubens, sondern zwei Zeitalter des Glaubens zu unterscheiden. (Siehe F. F. Bruce, The Message of the New Testament (Carlisle, 1994), p. 25.)

 

 

 

Die Form der Verkündigung Jesu in Galiläa, mit ihrem Hintergrund der Vision Daniels vom Reich Gottes und dem Menschensohn (siehe Daniel 7: 9-28) wäre für die Heiden in Korinth genau so unverständlich gewesen wie es die Verkündigung des Pauli in Korinth für die Galiläer zwei Jahrzehnte früher gewesen wäre. Was jedoch die Substanz der Verkündigung des Paulus sowie der Verkündigung Jesu angeht, gibt es keinen Unterschied. Wir müssen nur die zeitliche und kulturelle Differenz zwischen beiden Situationen gebührend in Erwägung ziehen.

 

Während zur Zeit der Verkündigung Jesu in Galiläa das Reich Gottes in Jesu Verkündigung nahe rückte, lag seine „Ankunft in Macht“ (Mk 9: 1) in der Zukunft, wenn auch nicht in ferner Zukunft. Einige derer, die Jesus zuhörten, sollten sie noch erleben. Für Paulus hat diese „Ankunft in Macht“ schon stattgefunden. Jesus ist nun schon „dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten“ (Röm 1: 4) Die Macht, die Gott erwiesen hat, indem er Jesus von den Toten erweckt hat, ist jetzt am Werk in den Nachfolgern Jesu, ihnen vermittelt durch den Geist Gottes, der in ihnen wohnt (vgl. Röm 8: 9-11). Durch denselben Geist ist die Liebe Gottes, aufgeschienen in dem selbsthingebenden Tod Jesu für die Sünden seines Volkes, „ausgegossen in ihre Herzen“ (Röm 5: 5-8). Notwendigerweise hat die sich die Perspektive geändert, denn der Tod and die Auferstehung Jesu, die während seines Auftretens in Palästina zukünftige Ereignisse waren, sind jetzt vergangene Ereignisse, oder besser: Teile eines vergangen Ereignisses, in dem das heilbringende Werk Gottes für die Welt für alle Zeiten und Räume freigesetzt worden ist. Dies war es, worauf die alten Propheten hingewiesen hatten. Die Endzeit hat begonnen, ist aber noch nicht beendet. Die feindlichen Mächte sind schon entmachtet durch Gottes Wirken in Jesus, „der letze Feind, der entmachtet wird ist der Tod“, und mit seine Entmachtung das Zeitalter der Auferstehung wird erfüllt werden, wenn dann Gott „alles in allem“ sein wird (1 Kor 15: 25-28). Die Segnungen dieses Zeitalters werden schon im Voraus erfahren von denen die durch den Glauben mit dem auferstandenen Herrn vereint sind: dies ist die Wirkung des Geistes, den sie empfangen haben als „Unterpfand“ oder „Erstlingsfrüchte“ der ewigen Herrlichkeit, die sie erwartet (siehe 2 Kor 5: 5; Röm 8: 23). Der inneren Erfahrung nach gehören sie schon zum kommenden Zeitalter, während sie in ihrem sterblichen Leib weiterhin in „diesem Zeitalter“ leben. „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden“ (2 Kor 5: 17).

 

 

 

Der Wechsel der Perspektive, dessen wir uns bewusst werden, wenn wir uns von Jesus zu Paulus bewegen, ist ein Wechsel auf den uns Jesu eigene Worte vorbereitet haben. Absolut gesehen ist es ein Wechsel, der, weltgeschichtlich gesehen, ins Jahr 30 AD datiert werden kann. Empirisch ist es ein Wechsel, der vor sich geht, wann immer eine Frau oder ein Mann dazu kommen „in Christus“ zu sein, um einen typischen, von Paulus immer wieder verwendeten Ausdruck zu verwenden. Wenn in persönlicher Erfahrung dieser Wechsel stattgefunden hat, dann revolutioniert er den grundlegenden Ausblick einer Person in umfassender Weise. „Also schätzen wir von jetzt an niemand mehr nur nach menschlichen Maßstäben ein; auch wenn wir früher Christus nach menschlichen Maßstäben eingeschätzt haben, jetzt schätzen wir ihn nicht mehr so ein“ (2 Kor 5: 16). Diese Worte bedeuten nicht, dass nun keinerlei Interesse mehr am Jesus der Geschichte besteht, sondern nur noch am erhöhten Herrn. Nein, sie bedeuten vielmehr, dass der Blick des Gläubigen auf Christus sich radikal unterscheidet vom Blick des Ungläubigen auf ihn, und dass der Blick des Gläubigen auf die der gesamte Menschheit von nun an geformt ist vom seinem Blick auf Christus. (Stark angelehnt an F. F. Bruce, “The Message of the New Testament”. Carlisle, 1994, pp. 24-33.)

 

 

 

B. Die Lehre über das Gesetz bei Jesus und bei Paulus

 

 

 

Das persönliche Verhalten Jesu

 

(a)

 

Es gilt zu unterscheiden zwischen der Haltung Jesu gegenüber der Überlieferung der Alten, zu deren Verteidigern sich die Schriftgelehrten und Pharisäer machten, und seiner Haltung gegenüber der Thora, dem Gesetz des Moses. Jesu lehnt die Überlieferung der Alten ab, weil sie die Menschen dazu führt, das Gesetz zu übertreten und das Wort Gottes zunichte zu machen (Mk 12: 28-34). Nun aber darf das Gesetz im Reiche Gottes nicht abgeschafft werden, sondern muss bis auf das letzte Jota erfüllt werden (Mt 5: 17ff), und Jesus selber beobachtet es (vgl. 8,4). Sofern also die Schriftgelehrten Moses die Treue hielten, musste Autorität der Thora anerkannt werden, wenn man auch ihr Verhalten nicht nachahmen durfte (23,2f).

 

Und doch inauguriert Jesus mit der Verkündigung der Frohbotschaft vom Reich Gottes eine radikal neue religiöse Norm; das Gesetz und die Propheten haben mit Johannes dem Täufer ihr Ende gefunden (Lk 16: 16par.). Der Wein des Evangeliums kann nicht in die alten Schläuche der Satzungen des Sinaibundes gegossen werden (Mk 2: 21f par.). Worin aber besteht die Erfüllung des Gesetzes, die Jesus gebracht hat. Zunächst darin, dass verschiedene Gebote wieder den ihnen gebührenden Platz erhielten. Seine Hierarchie der Werte weist gegenüber der von den Schriftgelehrten aufgestellten bedeutende Unterschiede auf. Vernachlässigen diese doch das Wichtigste (Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, gute Absicht), um Nebensächliches überzubetonen (Mt 13: 16-26). Ferner sollten jene Unvollkommenheiten, die das alte Gesetz „wegen der Härte der Herzen“ (19: 8) noch in sich schloss, im Reich Gottes verschwinden. Diese neue Verhaltensregel ist ein Gesetz der Vollkommenheit in Nachahmung der Vollkommenheit Gottes (5: 21-48). Ein undurchführbares Ideal, wenn man es an der gegenwärtigen Beschaffenheit des Menschen misst (vgl. 19: 10). Deshalb hat Jesus nicht nur dieses Gesetz gegeben, sondern auch ein Beispiel, das mitreißt, und eine innere Kraft, die zu dessen Beobachtung befähigt: die Kraft des Geistes (Apg 1: 8; Joh 16: 13).

 

Endlich gipfelt das Gesetz des Reiches Gottes in jenem Doppelgebot, das schon von alters her formuliert worden war und dem Menschen vorschreibt, Gott zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst (Mk 12: 28-34 par.). Alles kreist um dieses Doppelgebot, alles leitet sich von ihm her. In den Beziehungen der Menschen untereinander enthält diese goldenen Regel der positiven Liebe das ganze Gesetz und die Propheten (Mt 7: 12).

 

(b)

 

Schon auf Grund dieser Stellungnahme erscheint Jesus unter den Zügen eines Gesetzgebers. Ohne dem Moses im Geringsten zu widersprechen, erklärt er dessen Unterweisungen, führt sie weiter und vervollkommnet sie; so, wenn er verkündet, dass der Sabbat für den Menschen da ist, nicht aber der Mensch für den Sabbat (Mk 2:23-27par.; vgl. Joh 5: 18; 7: 21ff). Indes kommt es vor, dass er über den Buchstaben der Texte hinausgeht und ihm neue Normen gegenüberstellt. So bestätigt er z. b. die Vorschriften des Reinheitsgesetzes (Mk 7: 15-23 par.). Ein solches Verhalten setzt seine Zuhörer in Erstaunen, denn es hob sich vom den der Schriftgelehrten ab und verriet das Bewusstsein einer besonderen Autorität (2: 22par.). Damit trat Moses in den Hintergrund. Im Reiche Gottes gibt es nur mehr einen Lehrer (Mt. 23: 10). Die Menschen müssen auf sein Wort hören und danach handeln (7: 24ff). Denn nur so werden sie den Willen des Vaters erfüllen (7: 21ff). Und genau so wie die gläubigen Juden nach der Ausdrucksweise der Rabbiner das Joch des Gesetzes auf sich nehmen, so muss man jetzt das Joch Christi auf sich nehmen und von ihm lernen (11: 20). Ja noch mehr: genau so wie das ewige Schicksal der Menschen bis dahin von ihrem Verhalten dem Gesetz gegenüber abhing, so wird es nunmehr von ihrer Haltung Jesus gegenüber abhängen (10: 32f). Kein Zweifel, hier ist mehr als Moses. Das von den Propheten angekündigte neue Gesetz ist in Kraft getreten.

 

 

 

Das Problem im Urchristentum

 

(a)

 

Jesus hatte die Beobachtung des jüdischen Gesetzes nicht verurteilt; er hatte sich sogar im Wesentlichen daran gehalten, ob es sich dabei um die Tempelsteuer (Mt 17: 24-27) oder um die Paschagesetzgebung handeln mochte (Mk 14: 12ff). Dem entsprach zunächst auch das Verhalten der apostolischen Gemeinde, die einmütig im Tempel verharrte (Agp 2: 46), weshalb sie „beim jüdischen Volke hoch in Ehren standen“ (5: 13). Wenn sie sich auch gewisse Freiheiten gestatteten, wozu sie das Beispiel Jesu berechtigte (9: 43), hielt man sich an die gesetzlichen Vorschriften und legte sich sogar nicht streng vorgeschriebene Übungen der Frömmigkeit auf (18: 18; 21: 23f), und es fehlte unter den Gläubigen nicht an eifrigen Anhängern des Gesetzes (21: 20).

 

(b)

 

Doch tauchte in dem Augenblick ein neues Problem auf, als unbeschnittene Heiden dem Glauben beitraten, ohne sich zuerst dem Judentum anzuschließen. Petrus selbst taufte den Hauptmann Cornelius, nachdem ihn eine göttliche Vision darüber belehrt hatte, das er die für rein zu halten habe, die Gott durch den Glauben und die Gabe des Geistes gereinigt hat (Apg 10). Die Opposition der Eiferer für das Gesetz (11: 2f) brach vor der Evidenz eines göttlichen Eingreifens zusammen (11: 4-18). Doch ließ eine Massenbekehrung von Griechen in Antiochien (11: 20), für die sich Barnabas und Paulus einsetzten (11: 22-26), den Streit neuerdings aufflammen. Observanten, die aus Jerusalem oder genauer aus der Umgebung des Jakobus kamen (Gal 2:12), wollten die Neubekehrten zur Beobachtung der Thora zwingen (Apg 15:1f. 5). Petrus nahm bei seinem Besuch der Kirche von Antiochien dieser Schwierigkeit gegenüber keine klare Haltung ein (Gal 2: 1f). Paulus war der einzige, der sich erhob, um die Freiheit der bekehrten Heiden von den gesetzlichen Vorschriften zu verteidigen (Gal 2, 14-21). In einer zu Jerusalem abgehaltenen Vollversammlung gaben ihm Petrus und Jakobus schließlich recht (Apg 15: 7-19). Selbst Titus, der Begleiter des hl. Paulus wurde nicht gezwungen, sich beschneiden zu lassen, und die einzige Auflage, war ein Almosen für die Mutterkirche (Gal 2: 1-10). Dazu kam eine praktische Verhaltensregel, die der Tischgemeinschaft der syrischen Kirchen zugutekommen sollte (Apg 15: 20f; 21: 25). Diese befreiende Entscheidung ließ beiden Gesetzeseiferern jedoch eine geheime Unzufriedenheit gegenüber dem hl. Paulus zurück (vgl. 21: 21).

 

Die Lehre des heiligen Paulus

In seinem apostolischen Wirken auf heidnischem Boden stieß der hl. Paulus alsbald auf den Widerstand der Judenchristen, vor allem in Galatien, wo sie hinter seinem Rücken eine regelrechte Gegenmission organisierten (Gal 1: 6f; 4: 17f). Dies gab ihm Veranlassung, seinen Gedankengang über das Gesetz darzulegen.

(a)

Der hl. Paulus ist der Verkünder der einzigen Frohbotschaft. Nun aber wird der Mensch nach dieser nur durch den Glauben an Christus gerechtfertigt, nicht aber durch die Werke des Gesetzes (Gal 2:16; Röm 3: 28). Dieser Grundsatz hat eine zweifache Bedeutung. Einerseits prangert der hl. Paulus die Nutzlosigkeit kultischer Gepflogenheiten an, die dem Judentum eigentümlich waren, wie die Beschneidung (Gal 6:12) und die Einhaltung gewisser Vorschriften (4, 10). In diesem Sinn beschränkt sich das Gesetz auf die Einrichtungen des Alten Bundes. Anderseits nimmt der hl. Paulus gegen eine falsche Vorstellung von der Heilsveranstaltung Stellung, der zufolge der Mensch seine eigene Rechtfertigung durch seine Beobachtung des göttlichen Gesetzes zu verdienen vermöchte, während er in Wirklichkeit ohne sein Verdienst durch das Opfer Christ gerechtfertigt wird (Röm 3: 21-26; 4: 4f). Hier stehen auch die Gebote der sittlichen Ordnung mit in Frage.

(b)

Unter dieser Voraussetzung kann nun die Frage gestellt werden, welches dann der Seinsgrund dieses Gesetzes im Heils-Ratschluss Gottes gewesen sei. Denn es ist unbestreitbar, dass es von Gott kommt. Wenn es den Menschen auch durch die Vermittlung von Engeln gegeben worden ist, was ein Zeichen seines geringeren Wertes ist (Gal 3: 19), ist es doch heilig und geistig (Röm 7: 12.14) und ist es eines der Vorrechte Israels (9:4). Doch ist es aus sich heraus nicht imstande, den fleischlichen, der Macht der Sünde verkauften Menschen zu erlösen (7: 14). Selbst wenn man es vom sittlichen Standpunkt aus betrachtet, vermittelt es nur die Kenntnis des guten, nicht aber die Kraft diese auch zu vollbringen (7: 16ff). Es vermittelt die Kenntnis der Sünde (3: 20; 7: 7; 1 Tim 1:8), nicht aber die Kraft sich ihr zu entziehen. Die Juden, die es besitzen und seine Gerechtigkeit suchen (Röm 9: 1), sind ebenso sündhaft wie die Heiden (2: 17-24; 3: 1-20). Statt die Menschen vom Bösen zu befreien, lässt es diese darin, fast möchte man sagen, nur noch tiefer versinken. Es liefert sie einem Fluche aus, von dem nur Christus sie erretten kann, indem er ihn aus sich nimmt (Gal 3: 10-14). Als Erzieher und Vormund des Volkes Gottes in der Zeit seiner Jugend (3: 23f; 4: 1ff) schafft es in diesem ein Verlangen nach einer Gerechtigkeit, die unmöglich zu erreichen war, um es die absolute Notwendigkeit des einzige Erlösers umso besser erkennen zu lassen.

(c)

Von den Augenblick an aber, da dieser Erlöser kam, understand das Volk Gottes dem Gesetz als seinem Erzieher nicht mehr (Gal 3: 25). Christus, der den Menschen von der Sünde befreit (Röm 6: 1-19), befreit ihn auch von der Vormundschaft des Gesetzes (Röm 7: 1-6). Er beseitigt den inneren Widerspruch, der das menschliche Gewissen zum Gefangenen des Bösen gemacht hatte (Röm 7: 14-25). Auf diese Weise hat er der vorläufigen Ordnung ein Ende gesetzt, er bedeutet das Ende des Gesetzes (Röm 10: 4), weil er den Gläubigen zur Gerechtigkeit des Glaubens Zugang verschafft (Röm 10: 5-13). Was aber bedeutet dies? Dass es fortan für diejenigen, die an Christus glauben, keine konkrete Verhaltensregel mehr gibt? Durchaus nicht! So richtig es ist, dass jene juridischen und kultischen Vorschriften, die sich auf die Einrichtungen Israels bezogen, ihre Geltung verloren haben, so bleibt doch das sittliche Ideal der Gebote bestehen, deren Zusammenfassung jenes Gebot der Liebe ist, das die Erfüllung und die Fülle des Gesetzes ist (Röm 13: 8ff). Doch hat sich dieses Ideal selbst von der alten Heilsveranstaltung losgelöst. Es ist durch die Gegenwart Christi, der es in seinem Leben verwirklicht hat, verklärt worden. Zum „Gesetz Christi“ geworden (Gal 6: 2; vgl. 1 Kor 9: 21), liegt es nicht mehr außerhalb des Menschen, der Geist Gottes schreibt es in unsere Herzen, wenn er sie mit seiner Liebe erfüllt (Röm 5: 5; vgl. 8:14ff). Seine praktisch Verwirklichung ist die selbstverständliche Frucht des Geistes (Gal 5: 156-23). In diese Perspektive stellt sich der hl. Paulus hinein, wenn er ein Bild von jenem Sittlichkeitsideal entwirft, das den Christen verpflichtet. Dabei zählt der Verhaltensregeln auf, die umso strenger verpflichten, als sie die christliche Heiligkeit zum Ziel haben (1 Thess 4: 3). Er kann sich dabei sogar auf die Kasuistik einlassen und diese durch die Worte Jesu in ein neues Licht rücken (1 Kor 7: 10). Dieses neue Gesetz ist nicht mehr wie das alte. Es verwirklicht die Verheißung eines Bundes, der in die Herzen geschrieben ist (2 Kor 3: 3). (Der gesamte Test dieser Antwort ist, mit kleinen Kürzungen und Änderungen, dem Beitrag ‚GESETZ‘ von Pierr Grelot zum (Wörterbuch zur Biblischen Botschaft, hgg. Von Xavier Léon Dufour. Freiburg: Herder, 1964. entnommen.)

 

Kontakt

J. Prof. Dr. T. Specker,
Prof. Dr. Christian W. Troll,

Kolleg Sankt Georgen
Offenbacher Landstr. 224
D-60599 Frankfurt
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