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Frage 67:

Im Kapitel 9 erwähnen Sie den Begriff „Theologie der Befreiung“. Was ist darunter zu verstehen? Wer waren ihre Vertreter?

 

Antwort:

In vielen Ländern der Erde sind die Völker heute nicht mehr bereit, die bestehenden Verhältnisse in ihren Ländern als unabänderliches Schicksal hinzunehmen, zumal ungerechte Strukturen, die Unterdrückung, Analphabetentum, Verwahrlosung, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung bewirken, von der der Verantwortung des Menschen abhängen und auch von ihm verändert werden können.

 

Manche Völker verstehen deshalb ihren Widerstand gegen bestehende Strukturen als Mittel zur Befreiung von ungerechten Strukturen und Systemen, in welche persönliches, ungerechtes Verhalten, Korruption, Verschwendung, Machtstreben und Menschenverachtung eingeflossen sind, so dass diese selbst gewissermaßen zu „sozialen Sünden“ geworden sind. Manche der in den letzten Jahrzehnten entstandenen Befreiungsbewegungen streben nach gewaltsamer Veränderung durch Revolution. Andere wollen Veränderungen durch Reformen erreichen. Wieder andere, besonders in den christlichen Basisgemeinden, suchen, ausgehend von einer Theologie der Befreiung und einer besonderen „Option für die Armen“, in solidarischer Hilfe Not und Armut zu mildern und mit unterschiedlichen Mitteln eine Änderung der Strukturen, Institutionen und Systeme zu erreichen.

 

Die Theologie der Befreiung geht von der Frage aus, wie man angesichts des unermesslichen Leidens der Armen in den lateineinamerikanischen Ländern von der Liebe Gottes und von seiner Zuwendung zu den Armen sprechen und in solidarischer Hilfe diese Leiden überwinden kann. Das sind die Grundmotive der Befreiungstheologie. Die lateinamerikanische Bischofskonferenz machte sich auf ihre Generalversammlung 1968 in Medellin mit der „vorrangigen Option für die Armen“ eine grundlegende Einsicht der Befreiungstheologie zu eigen. Papst Paul VI wies darauf hin, dass man die Begriffe der Befreiung und des Heils in einem richtig verstandenen Sinne gleichwerten kann: “Das Wort Befreiung verdient also einen Platz im christlichen Wortschatz nicht nur wegen seiner Ausdruckskraft, sondern um des tiefer liegenden Inhalts willen.“ (Ansprache vom 31. 7. 1974). Papst Johannes Paul II spricht ausdrücklich von der lateinamerikanischen Theologie, die die Befreiung zur Grundkategorie und zum Handlungsprinzip für die Lösung der Probleme des Elends und der Unterentwicklung erhebt.

 

Nach katholischer Lehre ist es „vollauf berechtigt, dass diejenigen, die an der Unterdrückung durch die Besitzer des Reichtums, oder die politische Macht leiden, sich mit moralisch erlaubten Mitteln dafür einsetzen, Strukturen und Institutionen zu erlangen, in denen ihre Rechte wirklich respektiert werden“ (Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über die christliche Freiheit und Befreiung vom 22.3.1986, 75f.) Das sittliche Urteil darüber, welche Mittel und Wege für das konkrete handeln in solchen bedrängenden Situationen erlaubt sein können, muss sich immer an der menschlichen Würde und der menschlichen Freiheit ausrichten. Dann es gibt keine wirkliche Befreiung, wenn nicht von Anfang an die Freiheitsrechte respektiert werden.

 

Darüber hinaus ist zu bedenken, dass das Gebot der Nächstenliebe unvereinbar ist mit dem Hass gegen andere Menschen, sei es als Einzelperson oder als Gemeinschaft. Befreiung im Geist des Evangeliums lässt deshalb den Schluss zu, dass jemand Widerstand als Befreiung von ungerechter Gewalt nur in der Form des gewaltlosen Widerstands für gerechtfertigt hält. In gewaltlosem Widerstand kann jemand Zeugnis dafür ablegen, dass nur die Liebe zu wahrer Freiheit führt, während Gewalt immer neue Gewalt mit sich bringt.

Als weiterer Weg ist auch an Gewaltlosigkeit als Strategie zu denken, wie sie in der neueren Geschichte zum Beispiel Mahatma Gandhi und Martin Luther King beispielhaft vorgelebt haben. Ob dieser Weg zum Erfolg führt, hängt allerdings in hohem Maß davon ab, ob die Herrschenden fähig und bereit sind, die Unrechtverhältnisse zu ändern.

 

Einer (mit Waffengewalt vorgenommenen) Revolution als Weg der Befreiung von ungerechter Gewalt ist jede Art von Reform der Strukturen und Institutionen der Vorzug zu geben, zumal die Revolutionen unserer Zeit zumeist mit Ideologien verknüpft sind und nach kurzer Zeit neue Unterdrückung und Missachtung der Menscherechte mit sich bringen.

 

Wird ein Volk so geknechtet, dass ein gewaltloser Widerstand keine Änderung herbeiführt, kann das Recht auf gewaltsamen Widerstand als äußerste Möglichkeit in Anspruch genommen werden, aber nur, wenn keine andere Möglichkeit (zum Beispiel: passiver ) Widerstand mehr besteht.

Von dieser äußersten Möglichkeiten spricht Papst Paul VI in der Enzyklika „Populorum Progressio“ (31), wo es heißt, dass der bewaffnete Kampf als letzter Ausweg gerechtfertigt sein könnte, „um einer eindeutigen und lange andauernden Gewaltherrschaft, die die Grundrechte der Person schwer verletzt und dem Gemeinwohl des Landes schweren Schaden zufügt“, ein Ende zu setzen. Dagegen wird ein „systematischer Rückgriff auf Gewalt, der als angeblich notwendiger Weg zur Befreiung hingestellt wird,“, von der Kongregation für die Glaubenslehre als „eine zerstörerische Illusion angeprangert…, die den Weg zu neuer Knechtschaft eröffnet“ (Instruktion über die christliche Freiheit und Befreiung, 76).

 

Heute sind alle Staaten und die Kirche aufgefordert, dazu beizusteuern, dass in keinem Land der Erde Situationen entstehen, in denen unerträgliche Gewaltherrschaft die Menschen dazu zwingt, sich mit Mitteln zu befreien, die ihnen zutiefst widerstreben.“(vgl. Katholischer Erwachsenen-Katechismus. 2. Bd. Leben aus dem Glauben [Freiburg: Herder , 1995],S. 260-262).

Unter die herausragenden Befreiungstheologen zählen: G. Gutierrez, A Theology of Liberation, 1974; J. Segundo, The Liberation of Theology, 1978; J. Sobrino, Christology at the Crossroads, 1978.

Kontakt

J. Prof. Dr. T. Specker,
Prof. Dr. Christian W. Troll,

Kolleg Sankt Georgen
Offenbacher Landstr. 224
D-60599 Frankfurt
Mail: fragen[ät]antwortenanmuslime.com

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