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Frage 96:

Warum akzeptieren Sie das Barnabasevangelium nicht?

 

Antwort:

1. Die Bedeutung des Barnabasevangeliums

 

Das so genannte Barnabasevangelium (im Folgenden =BE) ist etwa in der Zeit zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert n. Chr. entstanden. Es liegt in zwei Manuskripten, auf spanisch und italienisch (aber weder auf Griechisch, Lateinisch oder Hebräisch) vor. Es hat für die christliche Welt so gut wie keine Bedeutung erlangt, denn es steht nach nichtmuslimischer Auffassung doch in einer Reihe mit einer Fülle von Evangelienfälschungen, die auf keinen Fall Echtheit beanspruchen können.

 

Warum ist dieser Text, der zahlreiche von den Aussagen der Bibel abweichende Lehren enthält, für die islamische Welt so bedeutsam geworden? Die folgenden Ausführungen wollen diese Frage beantworten und zugleich die Gründe aufzeigen, warum sein Anspruch ein authentisches Evangelium zu sein von keinem informierten und nüchternen Leser akzeptiert werden kann.

 

Der Text unserer Antwort hier gibt weitgehend in verkürzter und hier und da leicht abgewandelter Form „Lektion 20: Das Barnabasevangelium als Beispiel für die christlich-muslimische Kontroverse“ der Gegenwart der bekannten Religionswissenschaftlerin Christine Schirrmacher wieder. Siehe: Christine Schirrmacher, Der Islam 2 (Neuhausen/Stuttgart: Hänssler, 1994), S. 268-289. ISBN 3-7751-2133-1.

 

Der Text des BE wurde unter dem Namen Barnabasevangelium erstmals wohl im 18. Jahrhundert von europäischen Autoren erwähnt und wurde dann im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts zum Gegenstand christlich-muslimischer Kontroverse. Während Nichtmuslime das BE fast durchweg als ‘Fälschung’ aus der Übergangszeit vom späten Mittelalter zur Neuzeit betrachtet haben, hat die muslimische Seite, von wenigen Ausnahmen abgesehen, dass Barnabasevangelium als das einzig existierende wahre Evangelium von Jesus Christus aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. betrachtet. Bis heute ist die Frage nach der Echtheit des BE ein Punkt der christlich-islamischen Auseinandersetzung in etlichen islamischen Ländern.

 

Bis heute ist auch unklar, unter welchen Umständen, mit welcher Absicht und von welchem Autor das Barnabasevangelium verfasst wurde. Auf die Frage nach der Abfassung ist die Antwort noch am leichtesten zu finden. Es gibt viele Anzeichen, die für einen Zeitpunkt zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert sprechen. Viel schwieriger ist die Frage nach der Absicht und den Umständen der Abfassung des Barnabasevangeliums. Nichtmuslime gehen meist davon aus, dass ein ehemaliger Christ, der zum Islam konvertiert und daher sowohl mit dem Christentum als auch mit dem Islam vertraut war, solche ein Evangelium verfasst haben könnte.

 

Muslime dagegen treten seit dem 19. Jahrhundert meist dafür ein, dass es sich bei dem BE um das ‚wahre Evangelium’ von Jesus Christus handle, das im Gegensatz zu den übrigen vier ‚verfälschten’ Evangelien die ‚objektive Wahrheit’ – nämlich die islamische Lehre – enthalte. Muslimische Autoren versuchen, die Wahrheit des Barnabasevangeliums dadurch zu beweisen, dass sie nach Spuren oder Vorläufern des Textes in der frühchristlichen Kirchengeschichte suchten. Es werden mehrere Dokumente aus der frühchristlichen Kirchengeschichte angeführt, um zu belegen, dass der Autor des BE und dieser frühen Dokumente identisch seien.

 

Im einzelnen sind dies der kurze Barnabasbrief (er enthält nur kurze 21 Kapitel), die Barnabasakten (ein fälschlich dem Barnabas zugeschriebenes Werk aus dem 5. Jh. auf Griechisch), der Codex Barocci 39 (ein kurzes Textfragment), das ‚Decretum Gelasianum de libris recipiendis et non recipiendis’ (aus den 4./5. Jh. n. Chr.), das ein Barnabasevangelium nennt und das ‚Verzeichnis der 60 Kanonischen Bücher’ (aus der Zeit des 7. bis 8. Jh.s). Alle Dokumente wie auch die frühchristliche Kirchengeschichte insgesamt geben jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass jemals eine Verbindung zu dem BE existiert hat, um das sich die christlich-muslimische Kontroverse heute dreht.

 

2. Der Inhalt des Barnabasevangeliums

Heute existiert nur ein vollständiges Manuskript auf italienisch mit 222 Kapiteln, der Codex 2662, der sich in der Österreichischen Nationalbibliothek befindet und den italienische Titel trägt: Vero euangelio di essu chiamato chrissto nouo profeta mandato da DIO modo seconda la descritione di barnaba apostolo suo. Er enthält eine Widmung von Johannes Friedrich Cramer vom 20.6. 1713 für Prinz Eugen von Savoyen. Wir beziehen uns im Folgenden stets auf die seriöse Edition und Übersetzung dieses Manuskripts von: Lonsdale und Laura Ragg (Hg.) The Gospel of Barnabas. Edited and Translated from the Italian MS in the Imperial Library at Vienna. Oxford: Clarendon Press, 1907. (abgekürzt im folgenden Text als RR)

 

Das BE, das jüdische, christliche und muslimische Elemente in sich vereinigt, schildert die Lebensgeschichte von Jesus Christus und seinen Jüngern von der Ankündigung von Jesu Geburt bis zu seinem Tod, dem das BE die Wendung gibt, die häufig in Schilderungen der Kreuzigung von muslimischer Seite zu finden ist: nicht Jesus, sondern Judas stirbt am Kreuz.

Das BE berichtet von der Flucht der Eltern Jesu nach Ägypten, den Reisen, Wundern, Gleichnissen und Belehrungen Jesu, vom Letzten Abendmahl, dem Verrat, dem Prozess, der Kreuzigung des Judas und der Himmelfahrt Jesu. Der Hauptteil des BE ist der Lehrtätigkeit Jesu und zwar insbesondere der Unterweisung seiner Jünger gewidmet.

 

3. Bibel und Koran im BE

Vielfach wird der Leser an den Koran erinnert. Der Koran wird jedoch an keiner Stelle wörtlich zitiert. Aus der Bibel in der Übersetzung der lateinischen Vulgata hat der Autor dagegen zahlreiche Zitate übernommen. Von den 39 Büchern des Alten Testaments, das der Autor gut zu kennen scheint, zitiert oder erwähnt das BE 22, ebenso einige apokryphe Schriften. Auf 19 der 27 Bücher des Neuen Testaments spielt der Verfasser direkt oder indirekt an. Muhammad ist im BE der angekündigte Gesandte Gottes. Er wird bei seinem Kommen mit überragenden Eigenschaften ausgestattet werden, und zwar mit „dem Geist der Einsicht und des Rates…der Gelehrsamkeit und Stärke…der Furcht und Liebe… der Klugheit und Besonnenheit…der Barmherzigkeit und des Erbarmens…der Gerechtigkeit und der Frömmigkeit…der Sanftheit und Geduld“ (RR, XLIV/105).

 

4. Jesus Christus und die Kreuzigung

Bereits zu Beginn wendet sich das BE dagegen, dass viele unter der Vorgabe der Frömmigkeit die verwerfliche Lehre verbreiten, Jesus sei der Sohn Gottes gewesen. Jesus setzt sich heftig zur Wehr, als man ihn als Sohn Gottes oder Gott bezeichnen möchte. „Ich bin ein sterblicher Mensch wie auch die anderen Menschen“ (RR LII/122). Als Petrus ihn Sohn Gottes nennt, beschwört Jesus „beim Himmel“, er sei nur Mensch (RR XCII/214+XCIV/216 u. a.).

 

Jesus wird stattdessen als „Heiliger Gottes“, „Diener Gottes“ oder „ein großer Prophet Gottes“ bezeichnet. Er betont im BE immer wieder, er sei nur Mensch, Staub und Lehm. Es ist der Satan, der den Ungläubigen vorgaukelt, Jesus sei Gott und der Sohn Gottes. Jesus erläutert seinem Jünger Barnabas: Wenn die Menschen Jesus nicht als Gott bezeichnet hätten, wäre Jesus, nachdem er aus der Welt fort gegangen ist, in Paradies geleitet worden. Jesus sagt im Barnabasevangelium: „Ich sage dir, dass wenn ich nicht Gott genannt worden wäre, wäre ich ins Paradies gebracht worden, wenn ich die Welt verlassen werde“ (RR, CXII/256).

 

Auf die Frage nach der schlimmsten Sünde antwortet Jesus, dies sein der Götzendienst. Ein Mensch macht sich des Götzendienstes schuldig, wenn er Jesus zu Gott erklärt. Es kann anhand der zahlreichen Aussagen, Jesus sein nicht der Sohn Gottes und der nachdrücklichen Betonung dieser Aussage durchaus der Eindruck entstehen, die Hauptlehre des BE sei die Ablehnung des christlichen Dogmas der Göttlichkeit Jesu.

 

Obwohl Jesus nicht der Sohn Gottes ist, heilt er Kranke, weist aber stets darauf hin, dass es eigentlich Gott ist, der die Krankheit heilt. Es ist für Jesus unmöglich, Sünder zu vergeben. Er kann als „Knecht (oder: Diener) Gottes“ lediglich stellvertretend bei Gott für die Sünden anderer bitten (RR, LXXI/164).

 

Der Zweck der Mission Jesu ist die Sendung eines Propheten Gottes zu Israel, um Juda und Israel an das Gesetz Gottes zu erinnern:

„Es ist ein Prophet Gottes, der zum Volk Israel gesandt ist, dass er Juda bekehre zu seinem Herzen und dass Israel im Gesetz des Herrn wandele wie es im Gesetz des Mose geschrieben steht“ (RR, II/7).

 

Im BE ist Jesus nicht, wie im Neuen Testament und im Koran, der Messias. Vielmehr wird Muhammad als Messias bezeichnet. Ihm möchte Jesus dienen: “Ich bin der Diener Gottes, der dem Gesandten Gottes dienen möchte“ (RR, CCVI/454).

Jesus ist jedoch nicht nur der Gesandte und Knecht Gottes und ein Mensch, der Israel und Juda das Gesetz Gottes in Erinnerung ruft. Er nimmt darüber hinaus die Rolle Johannes des Täufers wahr, der im BE selbst nicht erwähnt wird: Jesus bereitet den Weg für Muhammad, den Gesandten Gottes, der der Welt Rettung bringen wird.

 

Beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern weiß Jesus bereits, dass Judas ihn verraten wird. Jesus kündigt seinen Jüngern an, dass man versuchen wird, ihn zu töten. Er ist jedoch zuversichtlich, dass Gott ihn vor der Kreuzigung retten wird. Jesus wird also nicht sterben, sondern ewig leben. Die Rettung vor der Kreuzigung ist ein Zeichen der Liebe Gottes. Jesus hätte nämlich eigentlich eine Strafe verdient, wie die Menschen ihn als Gott bezeichnet haben. Da er aber immer wieder auf die Wahrheit hingewiesen hat – er ist nicht der Messias und ist nicht Gott – wird nun ein Böser an seiner Stelle leiden.

Im Verlauf der Erzählung wird deutlich, dass es Judas ist, der für Jesus sterben wird. Judas hatte gehofft, dass Jesus König Israels werde. Er plante, ihn zu verraten und in die Hände der Priester, Schriftgelehrten und Pharisäer auszuliefern.

 

In den letzten acht Kapiteln des BE folgt nun die Schilderung der Kreuzigung, die man als Auslegung der vagen koranischen Angaben zu diesem Geschehen in Sure 4,157-158 betrachten könnte: Judas verrät Jesus für dreißig Goldstücke und führt die Soldaten zu ihm. Jesus zieht sich aus Angst vor ihnen in ein Haus zurück, während die übrigen elf Jünger in tiefen Schlaf gefallen sind. Gott befiehlt nun den vier Erzengeln Gabriel, Michael, Raffael und Uriel, Jesus aus der Welt fortzunehmen. Sie nehmen Jesus durch ein nach Süden gelegenes Fenster mit sich fort und bringen ihn in den dritten Himmel, wo er gemeinsam mit den Engeln Gott preist.

 

Während Jesus auf diese Weise durch Gottes Hilfe seinen Verfolgern entkommen kann, wird Judas hinsichtlich seine Redeweise and seines Aussehens Jesus zum Verwechseln ähnlich Man hält ihn nun für Jesus, obwohl er versucht, Erklärungen über den wahren Sachverhalt abzugeben. Die Soldaten ergreifen Judas und binden ihn. Judas wird vor den Hohenpriester geführt. Er ist Jesus so ähnlich geworden, dass man glaubt, diesen vor sich zu haben. Auch die übrigen Jünger, seine Mutter und seine Freunde, zweifeln nicht mehr daran, dass Jesus selbst ergriffen worden ist. Judas gibt weitere Erklärungen, wer er eigentlich sei, aber es wird ihm nicht geglaubt. Die Oberpriester, die Ältesten, die Schriftgelehrten und Pharisäer stimmen darin überein, dass der Gefangene Jesus selbst sei, denn Gott hatte beschlossen, dass Judas den grausamen Tod erleiden solle, dem er einen anderen durch den Verrat ausliefern wollte (vgl. RR, CCXVII/478).

Judas wird nun misshandelt, und man verspottet ihn. Endlich wird er gekreuzigt, und er ruft (so wie im Neuen Testament am Kreuz: „Gott, warum hast du mich verlassen“ (RR,CCXVII/480)? Daraufhin stirb Judas am Kreuz.

 

Nun stehlen einige Jünger in der Nacht den Leichnam des Judas und verstecken ihn. Darauf verbreiten sie, Jesus sei auferstanden, worüber große Verwirrung entsteht. Der Hohepriester befiehlt, über dieses Gerücht Stillschweigen zu bewahren.

Das folgende Kapitel bestätigt, dass Jesus in den dritten Himmel aufgefahren ist. Er bezeugt dort ausdrücklich, dass er nicht tot ist. Jesus beteuert noch einmal seine Unschuld, sich nicht als Sohn Gottes bezeichnet zu haben, damit nicht die Dämonen am Tag des Gerichtes über ihn spotten. Nur die Menschen haben ihn Gott und Gottes Sohn genannt. Gott selbst hatte jedoch beschlossen, dass man in dieser Welt durch den Tod Judas’ über ihn spotten sollte, denn alle Anwesenden waren davon überzeugt, Jesus sei gekreuzigt worden und gestorben. Dieser Spott wird bis zur Ankunft Muhammads, des Gesandten Gottes, fortdauern (vgl. RR, CCXX/484).

 

Jesus gibt Barnabas nun den Auftrag, ein Evangelium zu verfassen. Barnabas verspricht seine Niederschrift. Jesus versichert einigen Jüngern nochmals ausdrücklich, dass er nicht gestorben und auferstanden sei. Vielmehr sei Judas an seiner Stelle gekreuzigt worden (RR, CCXXI/486).

 

5. Ist das Barnabasevangelium ein islamisches Evangelium?

Das BE enthält islamisches Gedankengut, dass, obwohl außer von der Person Muhammads nirgends offiziell vom Islam die Rede ist, stark an den Koran oder die muslimische Überlieferung erinnert. Zu den wichtigsten Anspeilungen gehörten folgende Aussagen:

 

Das BE erhebt den Vorwurf der Verfälschung des Alten Testamentes durch die menschlichen Traditionen der „falschen Pharisäer“ (CLXXXIX/424).

 

Mehrere Propheten wie Adam, Abraham, Ismael, Mose, David und Jesus, der Sohn der Maria, werden als „Gesandte Gottes“ bestätigt. Adam rezitiert sogar das islamische Glaubensbekenntnis.

 

Die Verheißung der Geburt Jesu wurde, wie das BE berichtet, Ismael und nicht Issak gegeben. Ismael wurde statt Isaak von Abraham geopfert.

 

Jesus stammt nicht von David ab. An Maria und Joseph ergeht der Befehl Gottes, Jesus von Wein, starkem Getränk und unreinem Fleisch, also Schweinefleisch, fernzuhalten. Jesus ist nur zu Israel gesandt. Als Jesus seine Offenbarung im Alter von 30 Jahren erhält, wird er beim Mittaggebet von einem hellen Licht umstrahlt und von Engeln umgeben, während der Engel Gabriel Jesus ein Buch übergibt, das in sein Herz eindringt.

 

Jesus bezeichnet Muhammad als den Größeren, dem er nicht wert ist, den Schuhriemen aufzulösen. Hier übernimmt Jesus die Rolle Johannes des Täufers aus dem Neuen Testament. Jesus kündet das Kommen Muhammads unter Nennung seines Namens an und bittet Gott, ihn zu senden, um die Welt zu retten.

 

Die Kreuzigung des Judas entspricht nicht den Berichten der Evangelien, könnte jedoch mit der einzige Koranstelle zur Kreuzigung (Sure 4,157-158) in Einklang gebracht werden.

 

Das BE nimmt bereits eine apologetische Deutung des Christentums vor, wenn es darauf anspielt, dass der Apostel Paulus von einigen christlichen Dogmen abgewichen sei. So beklagt Barnabas etwa, von Paulus zu der Lehre von der Gottessohnschaft Jesu verführt worden zu sein.

 

6. Das BE widerspricht dem Koran

Allerdings muss an dieser Stell betont werden, dass es auch Aussagen im BE gibt, die weder mit dem Koran noch mit de Bibel in Einklang zu bringen sind.

Zu den vom Koran abweichenden Aussagen gehören etwa die Ausführungen über die Hölle als nur einem zeitweiligen Aufenthaltsort der Sünder. Im Widerspruch zum Koran steht auch die immer neu wiederholte Aussage, dass Muhammad der Messais sei. Das BE leugnet mehrfach, dass Jesus der Messias ist. Gleichzeitig bezeichnet es ihn jedoch als „chrissto“ (Christus). Man hat daher vermutet, dass der Autor nicht wusste, dass ‚Christus’ die griechische Übersetzung des hebräischen ‚Messias’ (‚der Gesalbte’) ist.

 

Im Koran wird Jesus in Jerusalem geboren, im BE in Bethlehem. Im Koran kommt er unter eine Palme zu Welt, im BE in einer Herberge. Im Koran leidet Maria große Schmerzen bei der Geburt (vgl. Sure 19,23), im BE bringt sie Jesus ohne Schmerzen auf die Welt.

 

Der Koran kennt sieben Himmel (Sure 2,29), das Barnabasevangelium neuen. Der zehnte Himmel ist das Paradies.

 

Dass BE tritt eindeutig für die Monogamie ein, während die Mehrzahl der Muslime in Sure 4,3 eine Erlaubnis bis zur Heirat bis zu vier Frauen erkennt.

 

7. Objektive Fehler im BE

Das BE selbst weist darauf hin, dass das Evangelium verfälscht worden sei. Wäre Barnabas tatsächlich ein Zeitgenosse Jesu gewesen, wäre das Neue Testament noch gar nicht abgeschlossen gewesen. Damit hätte das BE sein eigenes Schicksal vorausgesagt.

Zudem macht der Autor des BE durch geographische und historische Missgriffe deutlich, dass er weder Palästina jemals besucht, noch im ersten nachchristlichen Jahrhundert gelebt haben kann.

 

Im BE ist Nazareth ein Ort an der Küste des Sees Genesareth. Nazaret liegt jedoch auf einem Hügel. Jesus steigt nach dem Bericht des BE vom See Genesareth nach Kapernaum hinauf. Kapernaum liegt jedoch direkt am See Genesareth. Das BE bericht, dass Jesus in ein Schiff gestiegen und nach Jerusalem gefahren sei. Jerusalem liegt jedoch im Landesinneren und ist nicht per Schiff erreichbar. Ninive liegt nach der Beschreibung des BE in der Nähe der Mittemeerküste. Es ist jedoch am Tigris im Landesinneren gelegen.

 

Die Zeitangaben zur Geburt Jesu im BE stimmen im Verhältnis zu den Amtszeiten des Pilatus, Ananias und Kaiphas nicht mit der historischen Überlieferung überein. Das BE berichtet von 5000.000 römischen Soldaten in Palästina. So vie Soldaten gab es im ersten nachchristlichen Jahrhundert jedoch möglicherweise nur im gesamten Römischen Reich, keinesfalls jedoch in Palästina. Das BE berichtet von 17.000 Pharisäern zur Zeit des Alten Testamentes. Die Partei der Pharisäer entstand jedoch erst im zweiten vorchristlichen Jahrhundert.

 

Das BE beschreibt eine europäische Sommer: „alles trägt Frucht“ (RR, CLXIX/390). In Palästina regnet es jedoch im Winter, und im Sommer ist das Land trocken.

 

8. Anhaltspunkte für eine mittelalterliche Abfassungszeit?

Abgesehen von den Anklängen an islamische Dogmen im Text des BE, den mit der Geschichte und der Geographie Palästinas unvereinbaren Behauptungen und dem Fehlen einer verlässlichen Quelle, die vor dem Beginn des 18. Jahrhunderts von dem Inhalt eines Barnabasevangeliums berichtet, sprechen etliche Anhaltspunkte aus dem Text selbst für ein spätmittelalterliches oder frühneuzeitliches Abfassungsdatum zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert. Aus den zahlreichen Beispielen, die eine Datierung des Textes in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte mehr als unwahrscheinlich scheinen lässt, seien folgende genant:

 

Die Herausgeber der ersten Edition des BE Lonsdale und Laura Ragg wiesen 1907 bereits auf auffällige Parallelen zuwische dem BE und den Werken des größten italienischen Dichters Dante (Alighieri) (1265-1321) wie etwa La divina commedia hin, und zwar insbesondere hinsichtlich Dantes Darstellungen von Himmel, Hölle und Paradies. Was die unmittelbare Beziehung beider Texte zueinander betrifft, so hat Lonsdale Ragg die Vermutung geäußert, dass das BE und Dantes Göttliche Kommödie zwar unabhängig voneinander, aber hinsichtlich ihres Umfeldes in enger Beziehung zueinander entstanden sind. Nachfolgende Untersuchungen haben diesen Zeitraum bis etwa zum 16. Jahrhundert erweitert.

 

Das BE tritt für Verhaltensweisen ein, die stark an die mittelalterliche Mönchsaskese erinnern. So wird an etlichen Stellen das Lachen als Sünde verurteilt. Weinen gilt jedoch als Zeichen geistlichen Lebens (vgl. CII/236).

 

Das BE zitiert Bibelverse nach der lateinischen Vulgataübersetzung, die erst Ende des vierten Jahrhunderts entstand und zur offiziellen katholische Bibel wurde.

 

Das BE berichtet, Jesus und sein Jünger hätten „die 40 Tage gehalten“ (RR, XCII/212). Die vierzigtägige Fastenzeit vor Ostern wurde jedoch erst im vierten Jahrhundert n. Chr., eingeführt und sollte an das Leiden und Sterben Jesu erinnern, was vor seinem Tod unmöglich war.

 

Das BE erwähnt eine Goldmünze, den Dinar zu 60 minuti (RR, LIV/128). Diese Münze wurde nur kurze Zeit im Mittelalter in Spanien verwendet; ein Argument, das die These von der Entstehung des BE in Spanien zu stützen schien.

 

Im BE wurden Holzfässer zur Weinaufbewahrung erwähnt, im Nahen Osten waren jedoch Lederschläuche üblich.

 

Im Gegensatz zum Koran beschreibt das BE, dass Maria ihr Kind ohne Schmerzen zur Welt bringt, eine Lehre, die erst in der Kirche des Mittelalters aufkam.

 

Das BE betont die Bedeutung der Almosten, des Fastens, der Wallfahrt und des fünfmaligen Gebetes, das auch Jesus ausführt (vgl. RR, LXXXIX/206), womit der Text auf einen Zeitraum nach der Entstehung des Islam hinweist.

 

Im BE wird die verbotene Frucht im Paradies, die das alte Testament nicht näher bestimmt, als Apfel bezeichnet (vgl. RR, XXXIX/90); ebenfalls eine Entwicklung der späteren Kirchengeschichte.

 

Auf diese und einige weitere Punkte stützten sich die meisten Abhandlungen von nicht-muslmischer Seite in ihrer Ablehnung des BE als Dokument der frühen Kirchegeschichte.

 

9. Die Einführung des BE in die islamische Welt

Es ist bis heute ungeklärt, welcher muslimische Autor sich erstmals über das BE geäußert hat. Nachzuweisen sind die ersten Erwähnungen des BE von muslimischen Apologeten etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Von diesem Zeitpunkt an wird von den muslimischen Autoren immer wieder angeführt, dass ein frühchristliches Evangelium existiert, das die Wahrheit des Islam beweise. Insbesondere muss hier Muhammad Raschid Rida (1865-1935), ein prominenter ägyptischer Apologet, Reformtheologe und Schüler des noch berühmteren Muhammad ?Abduh (1849-1905), erwähnt werden. Er spielte insofern für die Verbreitung des BE in der islamischen Welt eine Schlüsselrolle, als er den Text des BE sofort nach dem Erscheinen der englischen Edition und Übersetzung von L. und L. Ragg noch im gleichen Jahr 1907 ins Arabische übersetzen und mit eine positiven Stellungnahme zugunsten des BE versehen ließ. Damit hat er entscheidend zu seiner Verbreitung und unkritischen Befürwortung des BE in der islamischen Welt beigetragen. Muhammad Rida hat auch insofern am BE Interesse gehabt, als er ohnehin ein entscheidender Verfechter der Überlegenheit des Islam gegenüber dem Christentum war und sich in etlichen Schriften unter Rückgriff auf Schriften europäischer historisch-kritischer Theologen bemüht hat, die angebliche Unlogik, Verfälschtheit und historische Unglaubwürdigkeit des Christentums nachzuweisen.

 

Zu den ausführlichsten Studien von muslimische Seite zur Rechtfertigung des BE gehört sicher das von M. A. Yusseff verfasste Werk: Die Rollen vom Toten Meer, das Barnabasevangelium und das Neue Testament (Orignaltitel: The Dead Sea Scrolls, the Gospel of Barnabas and the New Testament (Indianapolis, 1985). Auf fast 130 Seiten versucht Yusseff , die tadellose Überliefererkette (arab. isn?d) für das BE bis zu dem im Neuen Testament erwähnte Barnabas herzustellen. Er erhebt für sein Werk den Anspruch:

„Dieses Buch ist das erste einer ganzen Reihe von Werken, die auf einem wissenschaftlichen Verfahren basieren… Lassen Sie uns die Wahrheit ausspüren“ (ebd., S. 1)

Um das BE umfassend rechtfertigen zu können, nimmt eine weitreichende Neuberwertung der frühchristlichen Kirchengeschichte vor. Dass Jesus weder Gott noch Gottes Sohn gewesen sei, versucht der Autor zunächst mit Hilfe der historisch-kritischen Methode zu belegen. Er greift die Dreieinigkeit an und begründet die Sendung Muhammads, eröffnet aber keine Diskussion der Einwände gegen die Authentizität des BE wie wir sie oben dargelegt haben. Nach Meinung Yusseffs schrieb Barnabas das Evangelium unter Hinzuziehung des Matthäusevangeliums, um der Verschwörung der Nikolaiten, die biblische Text verändert hatten, nach seinem Bruch mit Paulus entgegenzuwirken. Diese Gruppe der Nikolaiten, die nach Yusseff Jesus zum Sohn Gottes erklärten und der auch der Apostel Paulus angehört habe, habe auch das „Decretum Gelansium“ (sic. Korrekt: Gelasianum) der ‚verbotenen’ Schriften verfasst, unter denen sich auch das BE befand. Die heutige christliche Kirche steht nach Yusseff in der Tradition dieser Nikolaiten, lehnt deshalb die BE ab und ist nicht Erbin des legitimen ‚abrahamitischen’ Glaubens. Vielmehr beeinflusste die griechisch-römische Kultur die jüdischen religiösen Glaubensinhalte hin zum Synkretismus. Der Versuch einen Menschen als Gott zu verehren (Yusseff zieht hier als Parallele die Vergöttlichung Cäsars hinzu), geht wie das Dogma von der Dreieinigkeit eindeutig auf heidnische Ursprünge zurück. Die geistliche Nachfahren Abrahams sind nämlich, geistlich gesprochen, Muslime. (ebd. S. 123)

 

Fazit:

Im Licht der verschiedenen Einschätzungen und Behauptungen wird der Leser, der die Wahrheit in dieser Sache sucht, vor allem Wert darauf legen, selbst den Originaltext des BE mit kritischer Offenheit zu lesen, um so selbst zu einem zuverlässigen Urteil zu kommen. Dabei wird es wichtig sein, sicherzustellen, dass man den Originaltext in einer wirklich zuverlässigen Übersetzung studiert. Die englische Übersetzung von L. und L. Ragg ist sorgfältig angefertigt und entspricht wissenschaftlichen Standards.

 

Folgende Frage sei noch angefügt: Kann man die Lehraussagen der vier kanonischen Evangelien so einfach zu Außenseiterpositionen einiger ‚abgeirrter’, paulinischer Christen erklären. Mit anderen Worten, kann man die Autorität der Schriften des Neuen Testaments als die das Christentum konstituierende und den christlichen Glauben genuin zum Ausdruck bringende Heilige Schrift schlechthin leugnen, ohne damit gleichzeitig blind die Augen zu verschließen vor dem Phänomen des christlichen Glaubens und der diesen Glauben bekennenden und praktizierenden christlichen Kirchen, die sich alle diesem Neuen Testament verpflichtet wissen?

 

Und schließlich, wie kann man einen Text als genuines Evangelium akzeptieren, wenn er im hinsichtlich sowohl der Heiligen Schriften der Christen als auch des Korans so viele Fehler und Widersprüche enthält und deutlich die Spuren einer Entstehungszeit trägt, die Jahrhunderte nach der Zeit der Entstehung des Neuen Testaments sowie auch nach der Zeit des Kommens des Koran liegt?

Kontakt

J. Prof. Dr. T. Specker,
Prof. Dr. Christian W. Troll,

Kolleg Sankt Georgen
Offenbacher Landstr. 224
D-60599 Frankfurt
Mail: fragen[ät]antwortenanmuslime.com

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