Frage 251:
Was waren die letzten Worte Jesu am Kreuz? Ich frage dies, weil die Evangelien in Bezug auf die letzten Worte Jesu nicht übereinstimmen. Wenn eines [der Worte] wahr ist, [und die anderen nicht] dann ist die Bibel nicht Wort Gottes. Wenn alle wahr sind, dann gibt es Widerspruch in der Bibel und die Bibel [bzw. ihr Text] ist korrumpiert [d.h. verändert] worden. Und wenn Sie aus allen Aussagen eine [widerspruchsfreie] machen, dann ist die Bibel unvollständig. Matthäus 27,46.50 (auch Markus 15,34) sagt: „Um die neunte Stunde rief Jesu laut: Eli, Eli, lema sabachtani?, das heißt: Mein Gott , mein Gott, warum hast du mich verlassen? […] Jesus aber schrie noch einmal laut auf. Dann hauchte er den Geist aus.“ Lukas 23, 46 heißt es: „Und Jesus rief laut: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Nach diesen Worten hauchte er den Geist aus.“ Und Johannes 19,30: „Als Jeus von dem Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf.“ Was denken Sie zu diesen Widersprüchen?
Antwort:
Es gibt nicht nur drei letzte Worte Jesu am Kreuz. Die christliche Tradition kennt sieben Worte, die sie aus den vier Evangelien zusammengestellt hat:
(1) „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34)
(2) „Frau, siehe dein Sohn“ – „Siehe deine Mutter“ (Joh 19,26f)
(3) „Amen, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43)
(4) „Eloí, Eloí, lema sabachtani?“, das heißt übersetzt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34; und auch Mt 26,46, bei Mt steht nicht Eloí, sondern Elí, beides sind aber unterschiedliche Formen des gemeinsemitischen Wortes für „Gott“). Dieses Gebetswort Jesu in seinem Sterben ist der Anfang von Psalm 22. Möglicherweise hat Jesus ihn ganz gebetet, aber die Evangelisten haben nur den Anfang zitiert. Eine spätere Alternativüberlieferung findet sich im Petrus-Evangelium: „Meine Kraft, o Kraft, du hast mich verlassen!“ (EvgPetr 19).
(5) „Mich dürstet“ (Joh 19,28; vgl. Ps 22,16; Ps 69,22).
(6) „Es ist vollbracht“ (Joh 19,30).
(7) „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46; vgl. Ps 31,6)
Zwischen keinem dieser sieben Worte besteht ein direkter Widerspruch. Sie zeigen alle, dass Jesus offenbar im Vertrauen am Kreuz seinem Vater sein Leben hingibt und damit sein Opfer vollendet. Allerdings tut Jesus dies nicht unangefochten. Auch für Jesus ist der Tod ein Moment echter Gottverlassenheit, aber auch in diesem Dunkel des Todes ringt er sich zum Vertrauen gegenüber dem Vater durch. Im Psalm 22, aus dem die Worte (4) und (5) kommen, lässt sich diese Wende eines Klagenden zum Vertrauen in Gott im Gebet schon im Alten Testament finden. Als Gebet aus den Psalmen lag es Jesus am Kreuz in seinem Herzen und fand als Sterbegebet leicht den Weg zu seinen Lippen.
In diesen Worten findet sich bereits eine Deutung des Todes Jesu, die von den Evangelisten vielfältig überliefert ist. Aber die plurale Form der Überlieferung ist für das christliche Verständnis kein Widerspruch zur einen Wahrheit, die Jesus selber ist.
Ansgar Wucherpfennig SJ