Frage 162:
Glauben Sie an die Erscheinungen Mariens an bestimmte Personen (in Fatima usw.)? Ist das möglich?
Antwort:
Weder der Katechismus der Katholischen Kirche noch der Katholische Erwachsenen-Katechismus der Deutschen Bischofkonferenz spricht über den Glauben an Marienerscheinungen. Sie gehören nicht zur offiziellen, für das Heil notwendigen Glaubenslehre der Kirche. Sie sind eine Ausdrucksform der charismatisch-mystischen Begabung der Kirche. Dabei handelt es sich um bewusstseinsimmanente Vorkommnisse, um sog. einbildliche oder imaginative Visionen. Anders als bei den so genannten körperlichen Erscheinungen, bei denen die Sinneseinwirkung von einem äußeren Objekt ausgeht, bestimmt man die Marienerscheinungen günstiger als eine intensive Form der Glaubenserfahrung, die mit außergewöhnlichen Empfindungen und Erlebnissen verbunden ist. Die Geschichte der Kirche berichtet immer wieder von besonders eindrücklichen religiösen Erfahrungen solcher Art, die nicht selten in Bekehrung einmünden. […]
Vom Phänomen her finden sich Marienserscheinungen meist bei einfachen Gläubigen und Laien, die auf diese Weise eine positive Herausforderung des kirchlichen Amtes darstellen. Der Konflikt zwischen beiden ist vor allem dadurch gegeben, dass die Übernatürlichkeit solcher Ereignisse nicht schon mit der Behauptung ihres Vorkommens ausgewiesen ist. Vielmehr sind wie beim Thema Privatoffenbarungen eine Reihe von Kriterien zu berücksichtigen.
Kriterien: 1. die gesundheitliche und moralische Integrität des Sehers. Die Mystische Theologie verweist zur Unterscheidung der Geister auf die klassischen Tugenden: Wahrhaftigkeit, Ernst, Demut, Friedfertigkeit, Liebe, Bescheidenheit. Auch die neuere, durch die Psychologie bereicherte Betrachtungsweise blickt auf das sittliche Leben des Sehers. 2. ist zu prüfen, ob die behaupteten Eingebungen der Lehre der Hl. Schrift und dem Glaubensgut der Kirche entsprechen. Dabei ist nicht nur auf mögliche Widersprüche zu achten, sondern ob auch wirklich die ursprünglichen Akzente gewahrt bleiben und der biblische Glaube nicht etwa in eine Drohbotschaft umgewandelt ist. Weil die christliche Offenbarung ihre unverrückbare Mitte in der Person Jesu Christi besitzt, können alle nachfolgenden Begnadungen nur den eine Sinn haben, diese zu verlebendigen. Marienerscheinungen sind darum nicht als Ergänzung zum biblischen Wort zu verstehen, sondern als Impuls, die Ursprungsoffenbarung Jesu Christi mit neuer Kraft auf die spezifische Zeitsituation hin zu konkretisieren und zu leben. […]
Eine Prüfung anhand dieser Kriterien kann von Seiten des Ortsbischofs oder des Hl. Stuhls zu einer Ablehnung der behaupteten Erscheinungen führen. […] Selbst dort, wo eine positive Stellungnahme vorliegt, besitzen die Gläubigen auch diesem Urteil gegenüber ein hohes Maß an Freiheit. Es kann mit menschlichem Glauben angenommen werden, der den Klugheitsregeln folgt, nicht aber ist ein theologischer Glaube geboten, der sich auf heilsnotwendige Wahrheiten bezieht. Respektvolle Ablehnung und kritische Zurückhaltung sind deshalb nach wie vor möglich…“ (Franz Courth, art. Marienerscheinungen, in: Praktisches Lexikon der Spiritualität, hg. Christian Schütz. Freiburg, 1988.)