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Frage 221:

Wie bewertet der Vatikan die politischen Systeme? Ist ein totalitäres Regime mit Christen an der Macht nicht angenehmer für Vatikan?

 

Antwort:

Kapitel 9 oben auf dieser Webseite: „Geistlich und weltlich“ geht unter III, 2 und IV auf unsere Frage ein. Relevante Aussagen des Katholischen Erwachsenen-Katechismus, Bd. 2, Sektion III, 3: ‚Die Christen und die politische Gemeinschaft‘ (S. 244ff.) geben weiterhin Antwort auf die Frage. Wir zitieren hier in Auszügen aus diesem Text:

 

Das christliche Evangelium und die politische Autorität

 

„Christen lebten und leben in unterschiedlichen politischen Verhältnissen. Welche Orientierungen gibt ihnen das Evangelium für ihre Einstellung zur politischen Gemeinschaft, auf die Ausübung der politischen Macht und die Stellung der Menschen zur politischen Autorität? […]

 

Aus der Unruhe der Zeit und den verschiedenen politischen Bestrebungen muss man die Antwort Jesu auf die Frage nach der Steuer für den Kaiser, die jeder Jude zahlen musste (‚Kopfsteuer‘), verstehen. Die Münze mit Bild und Aufschrift enthielt den Anspruch des Kaisers auf göttliche Verehrung. Darum lehnten die Zeloten die Steuer ab, andere waren, wenn auch widerwillig, bereit, sie zu zahlen. Jesus sollte mit der Frage, ob die Entrichtung der Steuer erlaubt sei, in eine Falle gelockt werden. Bejahte er sie, machte er in den Augen seiner Gegner seine Verkündigung der Gottesherrschaft unglaubwürdig; lehnte er sie ab, konnte er als Rebell gegen die kaiserliche Herrschaft angeklagt und verurteilt werden. Die Antwort Jesu: ‚Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und gebt Gott, was Gott gehört‘ (Mk 12,17), hat grundsätzliche Bedeutung. Jesus erkennt zwar das Recht des Staates auf das, was ihm gebührt an, schränkt es aber auch durch die Oberhoheit Gottes ein. Er geht über die politische Fragestellung hinaus und proklamiert das Recht Gottes als das höhere. Darin liegt ein Vorbehalt gegen ungerechte Forderungen und Machtansprüche, in denen Gott missachtet wird. Jesu Wort weist die Richtung, wie man sich gegenüber der Staatsgewalt verhalten soll, gibt aber keine für jede Situation gültigen Handlungsanweisungen. Sein Wort ist in langer Geschichte verschieden ausgelegt worden. Die unterschiedlichen Situationen verlangen jeweils neue konkrete Entscheidungen.

 

Der realistische Blick Jesu auf die bestehenden and weiterbestehenden Verhältnisse in der Welt und die Anweisung, wie sich die Jünger demgegenüber verhalten sollen, finden an einer anderen Stelle einen klaren Ausdruck. Gegen das Geltungsstreben, in dem auch die Jünger befangen sind, sagt er:

 

‚Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so ein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein‘ (Mk 10,42-44).

 

Das ist das ‚Grundgesetz‘, das Jesus für die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern aufrichtet, die sich Gott unterstellen wollen. Das gegenseitige Dienen nach dem Vorbild Jesu (Markus 10,45) ist ein Gegenbild zu allem in der Welt herrschenden Machtstreben. Gott will, dass alle Menschen von Unterdrückung und Ungerechtigkeiten befreit werden. Der von Jesus formulierte Grundsatz wird zur Herausforderung für irdisch-menschliches Denken und zur Anklage für jeden Staat, der seine Macht missbraucht, welche konkrete Form er auch besitzt. Durch seine Verkündigung, die an der befreienden Botschaft Gottes orientiert ist, relativiert Jesus jegliche Bindung an eine bestimmte irdische Herrschaftsform. Wo ein Staat seine Macht zum Nutzen aller ausübt, steht er im Dienst Gottes und darf Achtung und Gehorsam beanspruchen.

 

Paulus fordert in diesem Sinn die römischen Christen auf, sich den übergeordneten (staatlichen) Gewalten zu unterwerfen (Brief an die Römer 13, 1-7). ‚Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt‘ (13,2). Die Bürger schulden der staatlichen Autorität Gehorsam, und zwar nicht allein aus Furcht vor Strafe, sondern auch um des Gewissens willen, da sie im Dienst Gottes steht (13,4f). Aber darin liegt zugleich ein Vorbehalt: Der Staat ist Gott verantwortlich und darf sich nicht absolut setzen. Seine Aufgabe ist es, die Guten zu schützen und die Übeltäter zu bestrafen. Überschreitet der Staat seine Kompetenzen, so erlischt die Verpflichtung zum Gehorsam. […]

 

Wo staatliche Stellen ihre von Gott gesetzten Schranken überschritten, traten dem von Anfang an die Christen entgegen. […]

 

In den verschiedenen Aussagen des neuen Testaments zeigt sich, dass die Einstellung er frühen Kirche zur politischen Macht unterschiedlich ist. Soweit sich die politische Obrigkeit nicht gegen das göttliche Recht wendet, leben die Christen als treue Bürger des Staates. Sobald aber die Staatsgewalt missbraucht wird, oder der Staat zum Unrechtsstaat wird, sehen sich die Christen verpflichtet, den Gehorsam zu verweigern. Immer steht die Autorität Gottes höher als die Autorität des Staates.

 

Im Verhalten der Christen zur weltlichen Macht erhält das Gebot der Feindesliebe besonderes Gewicht. Jesus fordert die Jünger auf, für diejenigen zu beten, die sie verfolgen (Mt 5,44; vgl. Lk 1,28). In den Pastoralbriefen werden die Christen ermahnt, für alle Menschen zu beten, auch für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben (1 Tim 2,1f). Selbst in den Verfolgungen übten die Christen die Feindesliebe (Mt. 5,,44; vgl. Lk 6,28) und hörten nicht auf, für die Regierenden zu beten. Das älteste uns überlieferte Gebet dieser Art formulierte Clemens von Rom um 96 n Chr.:

 

‚Gib, dass wir deinen allmächtigen und vortrefflichen Namen sowie unseren Herrschern und Vorgesetzten auf Erden gehorsam sind. Du, Herr, hast ihnen die Herrschergewalt gegeben durch deine erhabene und unbeschreibliche Macht…

 

Lenke ihren Willen auf das, was gut und wohlgefällig ist vor dir, damit sie die von dir verliehene Macht in Frieden und Milde ausüben, gottesfürchtigen Sinnes, und so deiner Huld teilhaftig werden‘“(1 Clemens 60,4-61,2).‘ (Katholischer Erwachsenen-Katechismus, S. 244-248)

 

Grundlagen und Ziele der modernen politischen Gemeinschaft

 

Was die Grundlagen und Ziele der modernen politischen Gemeinschaft angeht, so hat hier die Menschenrechtsidee wesentliche Bedeutung erlangt. „Im freiheitlichen Rechtsstaat ist die frühere Ständeordnung aufgehoben. Es herrscht Gleichheit aller Bürger vor dem Recht. Die Gesellschaft ist pluralistisch. In ihr gibt es unterschiedliche Religionen und Weltanschauungen. Der Staat gewährleistet jedem einzelnen wie den in der Gesellschaft bestehenden religiösen Institutionen Religions- und Konfessionsfreiheit. […]

 

Christen können zwar in jeder Art von politischer Gemeinschaft als Glaubende leben ? auch als unterdrückte und schweigende Kirche ? aber es ist für Christen nicht gleichgültig, wie die politische Gemeinschaft und ihre Autorität begründet werden, wie diese mit den Menschen, mit der Menschenwürde und den Menschenrechten umgeht und ob sie die Religion anerkennt, unterrückt oder bekämpft.

 

Zwar kann die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden kein eigenes Mandat über die konkrete Gestaltung der politischen Gemeinschaft beanspruchen, aber ihre religiöse Botschaft drängt von ihrer inneren Dynamik darauf hin, dass sich das menschliche Zusammenleben auf menschliche Weise erfüllen kann. […]

 

Geht man im Sinne der katholischen Soziallehre und der Menschrechtscharta der Vereinten Nationen davon aus, dass die menschliche Person Wurzelgrund, Träger und Ziel aller Institutionen ist (vgl. Gaudium et Spes 25f; 63), dann entspricht dem Anspruch auf Gleichheit und Mitbestimmung am ehesten der freiheitliche Rechtsstaat mit einer demokratischen Ordnung und einer demokratisch gewählten Regierung. Die zum Staatsvolk vereinten Menschen haben darüber zu bestimmen, welche Regierungsform sie in ihrer konkreten Situation für richtig halten (vgl. Gaudium et Spes 74). Das Zweite Vatikanische Konzil nimmt in seinen Aussagen zur politischen Gemeinschaft bewusst keine Stellung zur Frage nach der bestmöglichen Staatsform. Es betont ausdrücklich: ‚Die Kirche, die in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf, noch auch an irgendein politisches System gebunden ist, ist zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person‘ (Gaudium et Spes 76). Die Erfahrungen der Geschichte wie der Gegenwart zeigen, dass demokratische Regierungsformen am ehesten geeignet sind, jene gerechten Verhältnisse zu schaffen, die dem einzelnen wie der Gesamtgesellschaft entsprechen.

 

Bei einer realistischen Sicht der menschlichen Verfasstheit darf man nicht übersehen, dass es auch in der der Demokratie Gefahren für die Demokratie geben kann. Sie können zum Beispiel darin bestehen, dass versucht wird, Mehrheitsentscheidungen über Angelegenheiten zu erreichen, die nicht in die Zustimmung parlamentarischer Abstimmung fallen, sondern dem Gewissensbereich zugehören und sittliche Fragen betreffen. Eine Gefahr für die Demokratie entsteht auch, wenn Minderheiten missachtet oder unterdrückt werden oder wenn Vertreter von Interessen ungerechten Druck auf die Parlamentarier ausüben.

 

Wirklich demokratische Machtausübung ist möglich, wenn die eine Herrschaft in mehrere Gewalten aufgeteilt ist. In der parlamentarischen Demokratie wählt das Staatsvolk als obersten Souverän die gesetzgebende (legislative) Gewalt. Diese setzt die vollziehende (exekutive) Gewalt ein und kontrolliert sie. Beide schaffen die Bedingungen für eine unabhängige richterliche (judiziale) Gewalt. Die einzelnen Gewalten begrenzen sich gegenseitig.

 

Vornehmste Aufgabe der staatlichen Gewalt ist es, die Grundrechte zu schützen. Diese werden den Bürgern nicht von der politischen Autorität gewährt, sondern sind als vorgegebenen zu gewährleisten und politisch durchzusetzen.

 

Heute gibt es zunehmend weltweite Beziehungen und gegenseitige Abhängigkeiten aller Menschen und Völker. Es zeichnet sich immer mehr die Notwendigkeit ab, das Gemeinwohl nicht nur national, sondern universal zu begreifen und inhaltlich zu bestimmen, zumal durch Wirtschaft, Wissenschaft, Technik , Kommunikation usw. faktisch bereits eine ‚Weltgesellschaft’ existiert. Seit Pius XII haben die Päpste immer stärker auf die weltweite Zusammenarbeit der Staaten hingewiesen und ihre Verantwortung für die Völkergemeinschaft betont. […]

 

In wirtschaftlicher, sozialer, politischer und kultureller Hinsicht kann es durchaus sinnvoll sein, wenn die Nationen in verschiedenen Bereichen einer eingeschränkten Souveränität zustimmen. Sie brauchen dabei keineswegs ihre Identität als Rechts- und Kulturgemeinschaft zu verlieren“ (Ebd., S. 244-252).

 

Glaube und Politik, Kirche und Staat

 

„Lange Zeit war das Verhältnis der Kirche zur Demokratie nicht spannungsfrei. Die Entwicklung des Staates zum modernen säkularen Staat und vor allem zur freiheitlich rechtsstaatlichen Demokratie hat es ermöglicht, das Verhältnis von Glaube und Politik, wie von Kirche und Staat unbefangener zu sehen als in früheren Zeiten.

 

Nachdem die Kirche zur freiheitlichen Demokratie ein positives Verhältnis gewann, konnte das Zweite Vatikanische Konzil (1965) über das Verhältnis von Kirche und Staat erklären:

 

‚Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. Beide aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen. Diesen Dienst können beide zum Wohl aller umso wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen‘ (Gaudium et Spes, 76).

 

Der Kirche geht es um das Heil des Menschen in der Verherrlichung Gottes durch die Nachfolge Christi. Dieses Heil ist in der Gottesreichverkündigung, im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi grundgelegt, es ist ‚verborgen‘ und wird in seiner Vollgestalt erst bei der Wiederkunft Christi sichtbar werden. Weltgeschichte und Heilsprozess sind miteinander verbunden, lassen sich aber nicht in ein den Menschen verfügbares innerweltliches System bringen. Einen ‚Gottesstaat‘ kann es auf Erden nicht geben. Darum liegt es auch nicht im Auftrag der Kirche, im Bereich von Politik and Wissenschaft irdische Verhältnisse zu planen und zu gestalten. Die Kirche trägt dazu bei, dass sich in der Gesellschaft Gerechtigkeit und Liebe entfalten, sie verkündet Grundsätze der Gerechtigkeit, und sie übt öffentliche Kritik, wenn politische Verhältnisse der Würde des Menschen widersprechen (vgl. Gaudium et Spes, 63; 76).

 

Die Kirche stellt aber kein politisches Aktionsprogramm auf. Die Sendung, die Christus ihr aufgetragen hat, und das Ziel, das er ihr gesetzt hat, gehören der religiösen Ordnung an (GS 42). Ihre Sendung unterscheidet sich klar vom Auftrag der Politik. Das geduldige ‚Harren auf die Vollendung der Kinder Gottes‘ (Röm 8,19) umfasst aber auch ‚die Sorge für die Gestaltung der Erde‘ (GS 39). Die Kirche ist ‚Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit‘ (Lumen Gentium 1; vgl. GS 42). Indem sie den Glauben verkündet und die Glaubenden durch die Sakramente heiligt, verbindet sie die Menschen mit Gott. Daraus soll eine neue, menschlichere Weise des Zusammenlebens erwachsen. Ein wesentlicher Bereich, in dem der Christ als Staatsbürger diesem Anspruch gerecht werden soll, ist der Bereich des politischen Handelns. Der Christ darf sich nicht von der politischen Verantwortung dispensieren und aus Angst davor ‚sich die Hände schmutzig zu machen‘, von der Politik fernhalten. […]

 

Wo politische Richtungen zu innerweltlichen Heilsbewegungen werden und den Versuch unternehmen, den Staat zur umfassenden, sinnentscheidenden Größe des menschlichen Daseins zu machen, sind Christen verpflichtet, humane Wertvorstellungen in die Gesellschaft einzubringen und zu verhindern, dass der Mensch zur bloßen Funktion von Staat und Gesellschaft wird. […]

 

Für Christen gilt die Weisung: ‚Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott was Gott gehört‘ (Mk 12,17). Dieses Wort fordert dazu auf, der politischen Autorität zu geben, was ihr zusteht, aber auch nur das. Der Christ kann und darf Forderungen, die mit dem eigentlichen und letzten Ziel des Menschen unvereinbar sind, nicht seine Zustimmung geben. ‚Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen‘ (Apg 5,29).“ (Ebd., S. 252-254).

Kontakt

J. Prof. Dr. T. Specker,
Prof. Dr. Christian W. Troll,

Kolleg Sankt Georgen
Offenbacher Landstr. 224
D-60599 Frankfurt
Mail: fragen[ät]antwortenanmuslime.com

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