Dialog und Mission
Eine christliche Sicht *
I. Mission
Die Heilsliebe Gottes
Gott ist Liebe (1 Joh 4,8.16). Seine Heilsliebe wurde den Menschen in Christus geoffenbart und mitgeteilt; sie ist in der Welt präsent und tätig durch den Heiligen Geist. Die Kirche muss für diese Liebe ein lebendiges Zeichen sein, so dass sie Lebensnorm für alle wird. Von Christus gewollt, ist ihre Mission eine Sendung der Liebe, denn in der Liebe findet sie Quelle, Ziel und Art der Ausübung dieser Sendung. Jeder Aspekt und jede Tätigkeit der Kirche müssen daher von der Liebe geprägt sein, gerade um der Treue zu Christus willen, der die Mission aufgetragen hat und sie weiter innerlich trägt sowie innerhalb der Geschichte möglich macht.
Die Kirche, das messianische Volk
Wie das Konzil betont hat, ist die Kirche das messianische Volk, die sichtbare Versammlung und geistliche Gemeinschaft, das Volk, das pilgernd mit der ganzen Menschheit unterwegs ist, deren Erfahrung sie ebenfalls macht. Sie muss Sauerteig und Seele der Gesellschaft sein, um sie in Christus zu erneuern und zur Familie Gottes zu machen. „Dieses messianische Volk hat zum … Gesetz das neue Gebot, zu lieben, wie Christus uns geliebt hat. Seine Bestimmung ist das Reich Gottes, das von Gott selbst auf Erden grundgelegt wurde“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Nr. 9.). „Die pilgernde Kirche ist daher ihrem Wesen nach ‚missionarisch‘“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad Gentes, Nr. 2; vgl. ebd., Nr. 6.35–36.) Missionarisches Verhalten ist für jeden Christen normaler Ausdruck seines gelebten Glaubens.
Die Sendung der Kirche
„Die Sendung der Kirche vollzieht sich mithin durch das Wirken, kraft dessen sie
im Gehorsam gegen Christi Gebot und getrieben von der Gnade und Liebe des
Heiligen Geistes allen Menschen und Völkern in voller Wirklichkeit gegenwärtig
wird …“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad Gentes, Nr. 5.).
Diese Aufgabe ist nur eine, vollzieht sich aber auf verschiedene Weise, je nach den Bedingungen, in denen die Mission im einzelnen zu wirken hat. „Diese Bedingungen hängen entweder von der Kirche oder von den Völkern, den Gemeinschaften und den Menschen ab, an die sich die Sendung richtet … Jeder der genannten Bedingungen bzw. Stadien müssen eigene Wirkformen und geeignete Mittel entsprechen … Das eigentliche Ziel dieser missionarischen Tätigkeit ist die Evangelisierung und die Einpflanzung der Kirche bei den Völkern und Gemeinschaften, bei denen sie noch nicht Wurzel gefasst hat“( Ebd., Nr. 6.). Andere Aussagen des gleichen Konzils betonen, dass zur Sendung der Kirche auch das Wirken für die Ausbreitung des Reiches und seiner Werte bei allen Menschen gehört (Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen entium, Nr. 5.; Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, Nr. 39.; Dekret über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio, Nr. 2; Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis Humanae, Nr. 14; Dekret über das Laienapostolat Apostolicam Actuositatem, Nr. 5.).
Verschiedene Weisen und Aspekte der Sendung
Die verschiedenen Weisen und Aspekte der Sendung sind im Ganzen vom II. Vatikanischen Konzil umschrieben worden. Vorgänge und Dokumente des kirchlichen Lehramtes wie die Bischofssynode über soziale Gerechtigkeit (1971), die über Evangelisierung (1974) und Katechese (1977), zahlreiche Worte Pauls VI. und Johannes Pauls II. sowie der Bischofskonferenzen von Asien, Afrika und Lateinamerika haben weitere Aspekte der Lehre des Konzils weiter entfaltet und z. B. „als ein wesentliches Element ihrer Sendung, das hiervon nicht getrennt werden darf“ (Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor Hominis, 4. März 1979, Nr. 15.), das Eintreten für den Menschen, für soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenrechte bezeichnet, auch die Änderung ungerechter sozialer Strukturen.
Eine einheitliche, aber komplexe Wirklichkeit
Im Bewusstsein der Kirche steht die Mission als eine einheitliche, aber komplexe und ausgeprägte Wirklichkeit da. Es lassen sich die Hauptelemente nennen. Die Mission wird bereits Wirklichkeit durch die einfache Präsenz und das lebendige Lebenszeugnis der Christen (Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii Nuntiandi, 8. Dezember 1975, Nr. 21.), auch wenn anzuerkennen bleibt, dass wir „diesen Schatz in zerbrechlichen Gefäßen tragen“ (2 Kor 4,7) und daher der Abstand zwischen dem, wie der Christ existentiell erscheint, und dem, was er zu sein behauptet, immer unüberbrückbar bleibt. Dazu kommt dann der konkrete Einsatz im Dienst
am Menschen und alles Wirken für sozialen Fortschritt, auch, der Kampf gegen die Armut und die Strukturen, die sie hervorrufen. Hinzuweisen ist ferner auf das liturgische Leben, Gebet und Kontemplation als beredte Zeugnisse für ein lebendiges und befreiendes Verhältnis zum lebendigen und wahren Gott, der uns zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit beruft (vgl. Apg 2,42).
Dann ist da der Dialog, bei dem die Christen den Anhängern anderer religiöser Überlieferungen begegnen, um gemeinsam auf die Wahrheit zuzustreben und bei Werken von gemeinsamem Interesse zusammenzuarbeiten. Endlich sind Verkündigung und Katechese zu nennen, wo die Frohbotschaft des Evangeliums verkündet wird und die Folgen für Leben und Kultur weiter vertieft werden. Dies alles gehört zur Mission.
Aufgabe aller
Jede Teilkirche ist für die ganze Mission verantwortlich. Auch jeder Christ ist kraft seines Glaubens und seiner Taufe aufgerufen, sie irgendwie ganz zu erfüllen. Die Erfordernisse der Situationen, die besondere Stellung des Volkes Gottes und das persönliche Charisma befähigen den Christen, vorwiegend den einen oder anderen Aspekt der Mission mitzutragen.
Das Beispiel Christi
Das Leben Jesu enthält alle Elemente der Mission. Nach den Evangelien stellen
wir bei ihm Schweigen und Tätigkeit fest, Gebet, Dialog und Verkündigung. Seine Botschaft ist untrennbar von seinem Tun; er verkündet Gott und sein Reich nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten und den Werken, die er vollbringt. Er nimmt den Widerspruch hin, den Misserfolg und den Tod; sein Sieg erfolgt durch die Hingabe seines Lebens. Alles ist bei ihm Mittel und Weg der Offenbarung und des Heiles (Vgl. ebd., Nr. 6–12.). So müssen es auch die Christen tun: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35).
Die Urkirche
Auch das Neue Testament bietet ein vielschichtiges und gegliedertes Bild der Mission. Es gibt eine Vielfalt von Diensten und Funktionen aufgrund verschiedenartiger Charismen (vgl. 1 Kor 12,28–30; Eph 4,11–12; Röm 12,6–8). Paulus selber betont die Besonderheit seiner eigenen missionarischen Berufung, wenn er erklärt: „Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden.“ (1 Kor 1,17). Daher finden wir neben den Aposteln, Propheten und Evangelisten andere, die zu gemeinschaftlichen Werken und zur Hilfe für die Leidenden berufen sind. Es gibt die Aufgaben der Familien, der Männer, Frauen und Kinder; es gibt die Pflichten der Herren und der Knechte. Jeder hat innerhalb der Gesellschaft ein besonderes Zeugnis zu geben. Der 1. Petrusbrief gibt den Christen, die in einer Diasporasituation
leben, Hinweise, die wegen ihrer Aktualität bis heute überraschen.
Johannes Paul II. bezeichnete einen Abschnitt daraus als „goldene Regel“ für das Verhältnis der Christen zu ihren andersgläubigen Mitbürgern: „Haltet in eurem Herzen Christus, den Herrn, heilig! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt; aber antwortet bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen“ (1 Petr 3,15–16).
Bedeutende Missionare
Unter den zahlreichen Beispielen aus der Geschichte der christlichen Mission sind die Normen bezeichnend, die der hl. Franziskus in der nicht bullierten Regel von 1221 den Brüdern gibt, die „von Gott angeregt zu den Sarazenen gehen möchten … Sie können auf doppelte Weise unter ihnen die geistlichen Beziehungen ordnen. Die eine ist, dass sie keinen Streit oder Disput anfangen, sondern jedem menschlichen Geschöpf aus Liebe zu Gott untertan sind und bekennen, Christen zu sein. Die zweite Weise besteht darin, dass sie, wenn sie es als dem Herrn wohlgefällig erkennen, das Wort Gottes verkündigen“ (Franz von Assisi, Regula non Bullata XVI: Fontes Franciscani, Assisi 1995, 198f.).
Unser Jahrhundert hat erlebt, wie vor allem in der islamischen Welt die Erfahrung von Charles de Foucauld begann und sich bewährte, der die Mission in einer Haltung der Demut und des Schweigens in Vereinigung mit Gott ausübte, in Gemeinschaft mit den Armen und in universaler Brüderlichkeit.
Achtung vor der Freiheit
Die Sendung richtet sich an den Menschen immer in voller Achtung vor seiner Freiheit. Deshalb hat das II. Vatikanische Konzil zwar die Notwendigkeit und Dringlichkeit betont, Christus, das Licht des Lebens, „mit der Tapferkeit der Apostel bis zur Hingabe des Lebens – wenn nötig – mit allem Freimut zu verbreiten“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis Humanae, Nr. 14.), zugleich aber die Forderung eingeschärft, bei jedem Gesprächspartner echte Freiheit zu fördern und zu achten, ohne. jeden Zwang, vor allem im Bereich des Religiösen. „Die Wahrheit muss nämlich auf eine Weise gesucht werden, die der Würde der menschlichen Person und ihrer Sozialnatur eigen ist, d. h. auf dem Wege der freien Forschung, mit Hilfe des Lehramtes oder der Unterweisung, des Gedankenaustauschs und des Dialogs, wodurch die Menschen einander die Wahrheit, die sie gefunden haben oder gefunden zu haben glauben, mitteilen, damit sie sich bei der Erforschung der Wahrheit gegenseitig zu Hilfe kommen; an der einmal erkannten Wahrheit jedoch muss man mit personaler Zustimmung festhalten“( Ebd., Nr. 3.). „Man muss sich also bei der Verbreitung des religiösen Glaubens und bei der Einführung von Gebräuchen allzeit jeder Art der Betätigung enthalten, die den Anschein erweckt, als handle es sich um Zwang oder um unehrenhafte oder ungehörige Überredung, besonders wenn es weniger Gebildete oder Arme betrifft. Eine solche Handlungsweise muss als Missbrauch des eigenen Rechtes und als Verletzung des Rechtes anderer betrachtet werden“ (Ebd., Nr. 4.).
Achtung vor der Person
Die Achtung für jede Person muss in der heutigen Welt die Missionstätigkeit kennzeichnen (Vgl. Paul VI., Enzyklika Ecclesiam Suam, 6. August 1964: AAS 56 (1964) 642–643; Apostolisches Schreiben Evangelii Nuntiandi, 8. Dezember 1975, Nr. 79–80; Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor Hominis, 4. März 1979, Nr. 12.). „Der Mensch ist der erste Weg, den die Kirche bei der Erfüllung ihres
Auftrages beschreiten muss“ (Ebd., Nr. 14.). Diese Werte, die die Kirche weiter von Christus, ihrem Meister, lernt, müssen die Christen dahin führen, all das zu lieben und zu achten, was an der Kultur und am religiösen Bemühen des Anderen sich an Gutem findet. „Es handelt sich um die Achtung vor allem, was der Geist in ihm gewirkt hat, der weht, wo er will“ (Ebd., Nr. 12; vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii Nuntiandi, 8. Dezember 1975, Nr. 79.). Die christliche Mission kann sich nie von der Liebe und der Achtung für die Anderen loslösen, und das macht für uns Christen die Wichtigkeit des Dialogs bei der Mission deutlich.
II. Dialog
A) Grundlagen
Der Dialog ergibt sich nicht aus dem taktischen Opportunismus eines Augenblicks, sondern aus Vernunftgründen, die durch Erfahrung, Nachdenken und sogar die Schwierigkeiten vertieft wurden.
Die individuellen und sozialen Herausforderungen
Die Kirche öffnet sich für den Dialog, um dem Menschen treu zu bleiben. In jedem Mensch und in jeder Menschengruppe lebt der Wunsch und das Bedürfnis, als verantwortliche Personen betrachtet zu werden und handeln zu können, sei es, wenn man etwas von anderen braucht, sei es vor allem, wenn man sich bewusst ist, etwas Mitteilenswertes zu besitzen. Wie die Humanwissenschaften betonen, erfährt der Mensch im zwischenpersönlichen Dialog seine eigenen Grenzen, aber auch die Möglichkeit, sie zu überwinden; er findet heraus, dass er die Wahrheit nicht in vollkommener und totaler Weise besitzt, aber mit den Anderen zusammen ihr vertrauensvoll entgegengehen kann. Das gegenseitige Überprüfen, die Verbesserung des Einen durch den Anderen, der geschwisterliche Austausch der jeweiligen Gaben führen zu immer größerer Reife, aus der die zwischenpersönliche Gemeinschaft erwächst. Bei diesem Austauschvorgang können sogar religiöse Erfahrungen und Ansichten gereinigt und bereichert werden.
Diese Dynamik menschlicher Beziehungen drängt uns Christen zum Hören und Verstehen dessen, was uns Andersgläubige vermitteln können, so dass wir die von Gott geschenkten Gaben uns nutzbar machen.
Der sozio-kulturelle Wandel mit den unvermeidlichen Spannungen und Schwierigkeiten, die wachsende gegenseitige Abhängigkeit auf allen Gebieten des menschlichen Zusammenlebens und der Förderung des Menschen, zumal alles, was für den Frieden gefordert ist, machen einen dialogischen Stil der Beziehungen heute noch dringlicher.
Der Glaube an Gott, den Vater
Die Kirche fühlt sich freilich vor allem aufgrund ihres Glaubens zum Dialog gedrängt. Im Dreifaltigkeitsgeheimnis lässt uns die Offenbarung ein Leben in Gemeinschaft und gegenseitigem Austausch erahnen.
In Gott, dem Vater, betrachten wir eine Liebe, die zuvorkommt, ohne Grenzen an Raum und Zeit zu kennen. Das Weltall und die Geschichte sind voll von seinen Gaben. Jede Wirklichkeit und jedes Ereignis sind von seiner Liebe unterfangen. Obwohl sich das Böse gelegentlich gewaltsam bemerkbar macht, bleibt im Geschick eines jeden Menschen und Volkes die Kraft der Gnade präsent, die aufrichtet und erlöst.
Die Kirche hat die Aufgabe, den ganzen Reichtum zu entdecken, ans Licht zu heben und aufgehen zu lassen, den der Vater in Schöpfung und Geschichte verborgen hat, nicht nur um den Ruhm Gottes in ihrer Liturgie zu feiern, sondern auch um die Gaben des Vaters unter allen Menschen immer mehr in Umlauf zu bringen.
Christus, mit jedem Menschen verbunden
In Gott, dem Sohn, ist uns das Wort und die Weisheit geschenkt, in der schon vor aller Zeit alles enthalten ist und besteht. Christus ist das Wort, das jeden Menschen erleuchtet, denn in ihm offenbart sich zugleich das Geheimnis Gottes und das Geheimnis des Menschen (Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor Hominis, 4. März 1979, Nr. 8.10–11.13.). Er ist der Erlöser, der mit seiner Gnade bei jeder menschlichen Begegnung dabei ist, um uns von unserem Egoismus zu befreien und uns einander lieben zu lassen, wie Er uns geliebt hat.
Johannes Paul II. schreibt: „Der Mensch – und zwar jeder Mensch ohne jede Ausnahme – ist von Christus erlöst worden. Christus ist mit jedem Menschen, ohne Ausnahme, in irgendeiner Weise verbunden, auch wenn sich der Mensch dessen nicht bewusst ist: Christus, der für alle gestorben und auferstanden ist, schenkt dem Menschen – jedem einzelnen und allen zusammen – fortwährend Licht und Kraft durch seinen Geist, damit er seiner höchsten Berufung entsprechen kann“ (Ebd., Nr. 13.).
Das Wirken des Heiligen Geistes
In Gott, dem Heiligen Geist, lässt uns der Glaube jene Lebenskraft, Bewegungsmacht und Möglichkeit zu ständiger Erneuerung erkennen (Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Nr. 4.), die in der Tiefe des Bewusstseins wirkt und den verborgenen Weg der Herzen zur Wahrheit hin begleitet (Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium
et Spes, Nr. 22.). Dieser Geist wirkt auch „außerhalb der sichtbaren Grenzen des mystischen Leibes“ (Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor Hominis, 4. März 1979, Nr. 6; vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Nr. 16; Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, Nr. 22; Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad Gentes, Nr. 15.). Der Geist nimmt den Weg der Kirche vorweg und begleitet ihn. Dabei weiß die Kirche sich freilich beauftragt, die Zeichen für seine Gegenwart zu erkennen und ihm zu folgen, wohin auch immer Er sie führt, ihm endlich als demütige und taktvolle Mitarbeiterin zu dienen.
Die Verwirklichung des Reiches Gottes
Das Reich Gottes ist das Endziel aller Menschen. Die Kirche ist als sein „Keim und Beginn“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Nr. 5.9.) darum bemüht, als erste diesen Weg auf das Reich hin zu gehen und den ganzen Rest der Menschheit in die gleiche Richtung sich bewegen zu lassen. Zu dieser Aufgabe gehört der Kampf gegen das Böse und die Sünde sowie der Sieg über sie, wobei sie immer bei sich selber beginnt und das Geheimnis des Kreuzes umfängt. Die Kirche bereitet damit auf das Reich vor, bis alle Brüder und Schwestern in Gott zu vollkommener Gemeinschaft gelangen. Christus bedeutet für die Kirche und die Welt die Garantie dafür, dass die Endzeit bereits begonnen hat, dass das Ende der Geschichte bereits bestimmt ist (Vgl. ebd., Nr. 48.), dass daher die Kirche befähigt und aufgerufen ist, für die Vollendung aller Dinge in Christus sich einzusetzen.
Die „Saatkörner des Wortes“
Diese Sicht hat die Väter des II. Vatikanischen Konzils zur Feststellung veranlasst, dass in den nichtchristlichen religiösen Überlieferungen „wahre und gute Dinge“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam Totius, Nr. 16.) vorliegen, „wertvolle Elemente der Religion und Humanität“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, Nr. 92.), „Saatkörner des
Wortes“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad Gentes, Nr. 11.15.), „Strahlen jener Wahrheit, die alle Menschen erleuchtet“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate, Nr. 2.). Nach ausdrücklichen Hinweisen des Konzils finden sich diese Werte in den großen Überlieferungen der Menschheit verdichtet vor. Sie verdienen daher die Aufmerksamkeit und Achtung zum Dialog (Vgl. ebd., Nr. 2.3; Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad Gentes, Nr. 11.), der nicht nur die schon irgendwie gemeinsamen Elemente umfasst, sondern auch die gegensätzlichen.
Ein aufrichtiges und geduldiges Zwiegespräch
Das II. Vatikanische Konzil vermochte daher auf konkrete Aufgaben hinzuweisen und folgende Aussagen zu machen:
„Um dieses Zeugnis Christi mit Frucht geben zu können, müssen sie (die Christen) diesen Menschen in Achtung und Liebe verbunden sein. Sie müssen sie als Glieder der Menschengruppe, in der sie leben, betrachten; durch die verschiedenen Beziehungen und Geschäfte des menschlichen Lebens müssen sie an den kulturellen und sozialen Angelegenheiten teilnehmen. Sie müssen auch mit ihren nationalen und religiösen Traditionen vertraut sein; mit Freude und Ehrfurcht sollen sie die Saatkörner des Wortes aufspüren, die in ihnen verborgen sind … Wie Christus selbst … so sollen auch seine Jünger, ganz von Christi Geist erfüllt, die Menschen, unter denen sie leben und mit denen sie umgehen, kennen; in aufrichtigem und geduldigem Zwiegespräch sollen sie lernen, was für Reichtümer der freigebige Gott unter den Völkern verteilt hat; zugleich aber sollen sie sich bemühen, diese Reichtümer durch das Licht des Evangeliums zu erhellen, zu befreien und unter die
Herrschaft Gottes, des Erlösers, zu bringen“ (Ebd., Nr. 11; vgl. ebd., Nr. 41; Dekret über das Laienapostolat Apostolicam Actuositatem, Nr. 14.29 usw.).
B) Formen des Dialogs
Eine Fülle von Formen
Die Erfahrung der letzten Jahre hat eine Fülle von Formen gezeigt, in denen der
Dialog sich vollziehen kann. Die hier aufgezeigten hauptsächlichen und typischen Formen werden je für sich oder zusammen mit anderen praktiziert.
Der Dialog des Lebens
Der Dialog ist vor allem ein Stil des Vorgehens, eine Haltung und ein Geist, der
das Verhalten bestimmt. Zu ihm gehören Aufmerksamkeit, Achtung und Aufgeschlossenheit dem Anderen gegenüber, dem man Raum lässt für seine persönliche Identität, seine Ausdrucksformen und Werte. Ein solcher Dialog ist Norm und notwendiger Stil für die ganze christliche Mission und jeden ihrer Teile, ob es um einfache Präsenz und um Zeugnisgeben geht oder um Dienstangebote oder um die direkte Verkündigung (Johannes Paul II., Codex Iuris Canonici, 25. Januar 1983, can. 787, § 1.) Eine Mission, die nicht vom Geist des Dialogs durchdrungen wäre, würde sich gegen die Forderungen nach echter Menschlichkeit richten und den Hinweisen des Evangeliums widersprechen.
Der Dialog im Alltag
Jeder Jünger Christi ist kraft seiner Berufung als Mensch und Geist zu echtem Dialog in seinem täglichen Leben aufgerufen, ob er in einer Mehrheits- oder Minderheitssituation lebt. Er muss mit dem Geist des Evangeliums jede Umgebung prägen, in der er lebt und arbeitet: den familiären, sozialen, erzieherischen, künstlerischen, wirtschaftlichen, politischen usw. Bereich. So fügt sich der Dialog in die große Dynamik der Sendung der Kirche ein.
Der Dialog der Werke
Eine weitere Ebene bildet der Dialog der Werke und der Zusammenarbeit für Zielsetzungen humanitären, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Charakters, die auf die Befreiung und Förderung des Menschen hinzielen. Das geschieht häufig in örtlichen, nationalen und internationalen Organisationen, wo Christen und Anhänger anderer Religionen gemeinsam die Probleme der Welt aufgreifen.
Das Feld der Zusammenarbeit
Sehr weit gespannt kann das Feld der Zusammenarbeit sein. Besonders im Hinblick auf die Muslime mahnt das II. Vatikanische Konzil, „das Vergangene beiseite zu lassen ... und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate, Nr. 3; vgl. Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad Gentes, Nr. 11–
12.15.21 usw.). Im gleichen Sinn haben sich Paul VI. zumal in Ecclesiam suam (Paul VI., Enzyklika Ecclesiam Suam, 6. August 1964: AAS 56 (1964) 655.) und Johannes Paul II. in seinen zahlreichen Begegnungen mit Oberhäuptern und Vertretern der verschiedenen Religionen ausgesprochen. Die großen Probleme, die die Menschheit bedrängen, rufen die Christen zur Zusammenarbeit mit den Andersgläubigen auf, gerade kraft der jeweiligen Glaubensüberzeugungen.
Der Dialog der Fachleute
Von besonderem Interesse ist der Dialog auf der Ebene der Fachleute, sei es um das jeweilige religiöse Erbe vorzulegen, zu vertiefen und zu bereichern, sei es um seine Kräfte für die Probleme nutzbar zu machen, die sich der Menschheit im Verlauf ihrer Geschichte stellen.
Zu solchem Dialog kommt es normalerweise dort, wo der Gesprächspartner bereits eine Weltanschauung besitzt und einer Religion anhängt, die ihn zum Handeln treibt. Leichter wird er in den pluralistischen Gesellschaften, wo unterschiedliche Überlieferungen und Ideologien koexistieren und gelegentlich aufeinander treffen.
Die Gegenseitigkeit des Verstehens
Bei dieser Auseinandersetzung kennen und schätzen die Gesprächspartner ihre gegenseitigen geistlichen Werte und kulturellen Maßstäbe und fördern Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit unter den Menschen610. Für den Christen handelt es sich zugleich um Mitarbeit an der Umwandlung der Kulturen im Sinn des Evangeliums (Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii Nuntiandi, 8. Dezember 1975, Nr. 18–20.63.).
Der Dialog der religiösen Erfahrung
Auf tieferer Ebene können in ihrer eigenen Überlieferung verwurzelte Menschenihre Erfahrungen in Gebet und Kontemplation, in Glauben und Tun austauschen als Ausdrucksformen und Wege des Suchens nach dem Absoluten. Diese Art von Dialog führt zu gegenseitiger Bereicherung und fruchtbarer Zusammenarbeit bei der Förderung und Wahrung der höchsten geistlichen Werte und Ideale des Menschen. Er regt natürlicherweise an, sich gegenseitig die Gründe des eigenen Glaubens mitzuteilen, und er hört nicht auf angesichts manchmal tiefreichender Gegensätze, er vertraut sich vielmehr in Demut und Zuversicht Gott an, „der größer ist als unser Herz“ (1 Joh 3,20). Der Christ hat damit Gelegenheit, dem Anderen die Möglichkeit zu bieten, dass er auf existentielle Weise die Werte des Evangeliums erfahren kann.
III. Dialog und Mission
Die Beziehungen zwischen Dialog und Mission
Die Beziehungen zwischen Dialog und Mission sind vielfältig. Wir verweilen hier
bei einigen Aspekten, die im Augenblick bedeutsamer sind für die Herausforderungen und Probleme, die sich stellen, und für die geforderten Haltungen.
A) Mission und Bekehrung
Der Aufruf zur Bekehrung
Die missionarische Verkündigung hat für das II. Vatikanische Konzil die Bekehrung zum Ziel: „Nur so werden sich die Nichtchristen glaubend, mit einem Herzen, das ihnen der Heilige Geist geöffnet hat, frei zum Herrn bekehren und ihm aufrichtig anhangen …“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad Gentes, Nr. 13; Johannes
Paul II., Codex Iuris Canonici, 25. Januar 1983, can. 787, § 2.). Im Kontext des Dialogs zwischen Anhängern verschiedener Glaubensüberzeugungen lässt sich die Überlegung zum geistlichen Weg der Bekehrung nicht vermeiden.
In der biblischen und christlichen Sprache besteht die Bekehrung des demütigen und zerknirschten Herzens zu Gott in dem Verlangen, ihm das eigene Leben hochherziger zu unterwerfen (Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad Gentes, Nr. 13.). Alle sind beständig zu solcher Bekehrung aufgerufen. In diesem Prozess kann sich die Entscheidung ergeben, eine frühere geistliche oder religiöse Situation zu verlassen, um sich einer anderen zuzuwenden. So kann sich das Herz zum Beispiel von einer begrenzten Liebe für eine universale Liebe öffnen.
Jeder echte Ruf Gottes bringt jeweils eine Selbstüberschreitung mit sich. Es gibt
kein neues Leben ohne Tod, wie es die Dynamik des Paschamysteriums zeigt (Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, Nr. 22.). Außerdem ist jede Bekehrung „Werk der Gnade. In ihr muss der Mensch vollständig zu sich selbst zurückfinden“ (Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor Hominis, 4. März 1979, Nr. 12.).
Achtung vor dem Gewissen
Bei diesem Bekehrungsvorgang hat das oberste Gesetz des Gewissens Vorrang, denn niemand darf „gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln. Er darf aber auch nicht daran gehindert werden, gemäß seinem Gewissen zu handeln, besonders im Bereich der Religion“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis Humanae, Nr. 3.).
Der lebendigmachende Geist
In christlicher Sicht ist Hauptagent der Bekehrung nicht der Mensch, sondern der Heilige Geist. „Er ist es, der jeden antreibt, das Evangelium zu verkünden, und er ist es auch, der die Heilsbotschaft in den Tiefen des Bewusstseins annehmen und verstehen lässt“ Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii Nuntiandi, 8. Dezember 1975, Nr. 75.). Er führt die Bewegung der Herzen und lässt den Akt des Glaubens an Jesus, den Herrn, entstehen (vgl. 1 Kor 2,4). Der Christ ist nur Werkzeug und Mitarbeiter Gottes (vgl. 1 Kor 3,9).
Das Verlangen wechselseitigen Austauschs
Auch beim Dialog nährt der Christ normalerweise in seinem Herzen das Verlangen, seine Christuserfahrung mit dem Bruder aus der anderen Religion zu teilen (vgl. Apg 26,29) (Vgl. Paul VI., Enzyklika Ecclesiam Suam, 6. August 1964: AAS 56 (1964) 646–647.). Ebenso natürlich erscheint es, dass der Andersgläubige etwas Ähnliches wünscht.
B) Der Dialog zum Aufbau des Reiches
Mitarbeit bei der Verwirklichung des göttlichen Planes
Gott versöhnt weiter die Menschen mit sich durch den Geist. Die Kirche vertrautauf die ihr gegebene Verheißung Christi, dass der Geist sie innerhalb der Geschichte in die Fülle der Wahrheit einführen wird (vgl. Joh 16,13). Deshalb geht sie den Menschen und Völkern und ihren Kulturen entgegen im Bewusstsein, dass jede menschliche Gemeinschaft Keime des Guten und der Wahrheit besitzt und dass Gott einen Plan der Liebe für jede Nation hat (vgl. Apg 17,26–27). Die Kirche will daher mit allen an der Verwirklichung dieses Planes mitarbeiten und so den ganzen Reichtum der unendlichen und vielförmigen Weisheit Gottes auswerten, zugleich aber zur Evangelisierung der Kulturen beitragen (Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii Nuntiandi, 8. Dezember 1975, Nr. 18–20.).
Förderung des universalen Friedens
„Wir wenden uns dann auch allen zu, die Gott anerkennen und in ihren Traditionen wertvolle Elemente der Religion und Humanität bewahren, und wünschen, dass ein offener Dialog uns alle dazu bringt, die Anregungen des Geistes treulich aufzunehmen und mit Eifer zu erfüllen.
Der Wunsch nach einem solchen Dialog, geführt einzig aus Liebe zur Wahrheit und unter Wahrung angemessener Diskretion, schließt unsererseits niemanden aus, weder jene, die hohe Güter der Humanität pflegen, deren Urheber aber noch nicht anerkennen, noch jene, die Gegner der Kirche sind und sie auf verschiedene Weise verfolgen.
Da Gott, der Vater, Ursprung und Ziel aller ist, sind wir alle dazu berufen, Geschwister zu sein. Und darum können und müssen wir aus derselben menschlichen und göttlichen Berufung ohne Gewalt und ohne Hintergedanken zum Aufbau einer wahrhaft friedlichen Welt zusammenarbeiten“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium).
Der Dialog als Quelle der Hoffnung
Der Dialog wird damit Quelle der Hoffnung und Werkzeug der Gemeinschaft in gegenseitiger Umformung. Der Heilige Geist aber leitet die Verwirklichung des Planes Gottes innerhalb der Geschichte der Einzelnen und der gesamten Menschheit, bis die infolge der Sünde zerstreuten Kinder Gottes wieder zur Einheit zusammengeführt sind (vgl. Joh 11,52).
Die Geduld Gottes
Gott allein kennt die Zeiten, Er, dem nichts unmöglich ist, Er, dessen geheimnisvoller und schweigsamer Geist den Einzelpersonen und Völkern die Wege des Dialogs öffnet, um die rassischen, sozialen und religiösen Unterschiede zu überwinden und sich gegenseitig zu bereichern. Wir leben also in der Zeit der Geduld Gottes, und in dieser Zeit wirkt die Kirche und jede christliche Gemeinschaft, denn niemand kann Gott verpflichten, schneller zu handeln, als er sich zu handeln entschlossen hat.
Doch angesichts der neuen Menschheit des dritten Jahrtausends möchte die Kirche ein offenes Christentum ausstrahlen, bereit, geduldig zu warten, bis der unter Tränen und doch vertrauensvoll ausgestreute Same aufgeht (vgl. Jak 5,7–8; Mk 4,26–30).
(Ende)
*(Dokument des päpstlichen Sekretariats für die Nichtchristen. Dialog und Mission. Gedanken und Weisungen über die Haltung der Kirche gegenüber den Anhängern anderer Religionenen, 10. Juni 1984: AAS 76 (1984) 816-828. Wiedergeben in Hrsg. CIBEDO e.V., Die offiziellen Dokumente der katholis hen Kirche zum Dialog mit dem Islam. (Regensburg: Pustet, 2009), 279-293. Die einleitenden Ausführungen des Dokuments sind hier nicht wiedergegeben.
Eine muslimische Sicht *
Islam und Dialog
Wir leben im Jahrhundert der Atomspaltung, im Jahrhundert der Spaltung aller Einheit. Der Pluralismus der Kulturen ist heute eine anerkannte Tatsache, eine unumstößliche Folge der Entwicklung. […] Der Islam, ebenso wie die anderen Weltanschauungen, kann nicht außer¬halb dieser Entwicklung bleiben, ohne das Risiko einzugehen, ver¬urteilt zu werden: dieses Mal endgültig und ohne Widerruf. […]
1. OFFENBARUNG UND DIALOG
[…] Die Offenbarung fordert den Propheten und den Muslim dazu auf, den Dialog mit den Nichtmuslimen im Allgemeinen, aber ganz besonders mit den Gläubigen der biblischen Religionen aufzunehmen. Wir möchten da¬zu bemerken, dass die Pflicht zur Mission - die auch damit gemeint ist und die man nicht außer acht lassen darf - sich durchaus ver¬einen lässt mit dem Respekt vor dem anderen Menschen und den anderen Konfessionen. Letzten Endes ist es Sache Gottes, und zwar ausschlie߬lich, festzustellen, wer die Seinigen sind: der Herr weiß nämlich besser als irgendeiner, wer auf dem richtigen Weg ist.
2. HINDERNISSE FÜR DEN DIALOG
Das schwierige Erbe der Vergangenheit
Man wird mir entgegenhalten: warum nahm die Geschichte den Verlauf, den sie tatsächlich genommen hat? Warum diese schwerwiegende Last'der Vergangenheit, dieses Netz von Intrigen, Fälschungen, Beleidi¬gungen und Schmähungen? Warum hatte die gewalttätige Art der Ausein¬andersetzung den Vorrang vor der wohlwollenden? Nichts im Menschenleben ist eben einfach, und wir müssen das schmerz¬liche Erbe der Vergangenheit verstehen, um es besser überwinden zu können. Denn der Islam ist nach Ansicht vieler nicht die Religion des Dialogs, sondern der Gewalt. Eine kurze Richtigstellung ist also notwendig.
Zuerst möchten wir unterstreichen, dass, wenn auch die Tore mancher Länder tatsächlich mit Gewalt aufgestoßen wurden, der Islam niemals und nirgends durch Zwang auferlegt wurde. Versuchen wir auch die Situation richtig zu beurteilen, die gegeben war, als der Islam seinen Einzug in die Welt hielt. Die beiden damaligen Großmächte, das Reich von Byzanz und von Ktesiphon (Persien), kämpften darum, den Völkern ihre Vorherrschaft aufzuzwingen. Niemand hatte etwas gegen die Ausdehnung durch die Gewalt. Man war entweder Verfolgter oder Verfolger. Und die Geschichte zeigt ja schließlich, dass alle Kriege "gerecht" sind oder wenigstens gerechtfertigt werden können. Ein kriegerischer Geist ehrt – und tut das leider auch heute noch – ¬den Menschen, der ihn besitzt. Man könnte auch in diesen Zusammen¬
hang den Weg der Revolution erwähnen, der noch heute angepriesen wird, um das Glück der Völker zu machen und die Mauern zu sprengen, die den Weg zur Freiheit blockieren!
Geoffenbart in Zeit und Raum, eingeschrieben in die Geschichte, ge¬tragen von Menschen, den Gesetzen des Zufalls unterworfen, so musste sich der Islam also, ob er wollte oder nicht, seiner Epoche angleichen. Er ist in die geschichtliche Entwicklung eingestiegen und hatte keine andere Wahl. So ruft nicht nur ein Koranvers - das ist eine Tatsache - zum Kampf auf und verspricht dem, der auf dem Wege Gottes fällt, die Märtyrer¬palme und das Paradies. Aber dieser Kampf wird immer nur für den schlimmsten Fall und als letzte Zuflucht vorgeschlagen. Um gerecht¬fertigt zu sein, wird er noch mit den verschiedensten physischen und moralischen Einschränkungen belegt. Es ist vor allem mit Entschieden¬heit zu betonen, dass die Verse, die zum Kampf aufrufen, einen wesent¬lich zeitbedingten Wert haben und an besondere Umstände gebunden waren. Hoffen wir, dass sie heute endgültig überholt sind! Sie drücken nicht den bleibenden und eigentlichen Geist der Botschaft aus, einer Botschaft der ehrerbietig und ritterlich dem Nächsten dargebotenen Hand, wie wir erwähnt haben. Diesen bleibenden und wesentlichen Geist müssen wir heute wieder entdecken, um den Weg des Dialogs von allen Missverständnissen zu räumen, die ihn in der Vergangenheit ver¬sperrt haben und auch heute noch blockieren könnten. Es gibt jedoch noch andere Schwierigkeiten, die erst in der Gegenwart zum Vorschein kamen.
Die Probleme der Gegenwart
In Wirklichkeit sind also nicht alle Probleme gelöst, wenn die Hypothek der Vergangenheit bewältigt ist. Es bleiben andere Schwierig¬keiten, trotz aller guten Absichten.
Ich möchte zuerst das größte Problem hervorheben: die enormen Unter¬schiede, die zwischen den Gesprächspartnern bestehen. Etwa die Un¬gleichheit, was ihre akademische Ausbildung betrifft. Dieses Hindernis ist ohne Zweifel am schwierigsten in kurzer Zeit zu überwinden. Denn trotz der besten Einstellung und ehrlicher Bereitschaft zum Gedanken¬austausch kann man den hochqualifizierten, kompetenten Gesprächs¬partner nicht nach Belieben herbeizaubern. Es ist eine Binsenweisheit, dass der ganze heutige Islam zu dem verarmten Bereich der Unter¬entwicklung gehört: nicht nur materieller, sondern vielleicht haupt¬sächlich intellektueller Unterentwicklung. Dass man den einen oder anderen hervorragenden Wissenschaftler nennen kann, ändert nichts an der allgemeinen Lage: die Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Frei nach Corneille könnte man sagen, dass der Dialog nicht nur Ge¬fahr läuft, im Sande zu verlaufen, sondern ganz einfach mangels "Dialogfähigkeit" gar nicht wirklich beginnt. Noch mehr als andere Schwierigkeiten erklärt diese Tatsache das Zaudern und die Zurück¬haltung, das Misstrauen und schließlich die derzeitige Unfruchtbarkeit der Kontakte, trotz mehrerer Versuche, bei denen die Initiative tatsächlich immer vorn christlichen Partner ausging. […]
Ein großes Problem bildet auch die ungleiche theologische Entwicklung. Die christliche Theologie konnte von einem Zusammenstoß mit den anderen Ideologien profitieren. Die gefährlichsten waren schließlich die heilsamsten, indem sie, unter dem Gewicht des Widerspruchs und der Kritik kreative Spannungen hervorriefen. Sie konnte so die eigenen Werte vertiefen, Antworten erarbeiten, manchmal mehr oder weniger schmerzliche Überprüfungen vornehmen und dadurch auch die enormen Reichtümer integrieren, die mit ihrer eigenen inneren Dynamik zu vereinbaren waren. Das christliche Denken konnte fortwährend dyna¬misiert werden. Es hat die geistigen Strömungen seiner Zeit verar¬beitet und wächst jeden Tag mehr mit ihr, bewahrt aber und verstärkt dabei sogar seine Bindungen zum Wesentlichen in seiner Tradition. Diese Anstrengungen, die seit dem 19. Jahrhundert bemerkbar sind, haben zum letzten Konzil geführt. Gewiss ist es nicht ohne Drama, ohne Schmerz und ohne Krise verlaufen. Aber die Kirche ist im Großen und Ganzen weiter vorangekommen, besser gewappnet und bereit zum Dialog.[…]
Wie verhält sich der Islam diesen Anstrengungen gegenüber, die noch nie dergleichen in der Kirchengeschichte hatten? Er bietet uns eine Theologie an, deren Entwicklung praktisch im 12. Jahrhundert aufge¬hört hat. Die muslimischen Theologen hatten Schritt für Schritt den Kontakt mit der Welt verloren. Über Jahrhunderte gab es keine Pro¬blematik. Sie ließ sich nicht herausfordern und dazu zwingen, sich noch mehr in das Geheimnis der Welt Gottes zu wagen. So zeigt sie heute eine unbewegliche Haltung mit einem oft nur geschichtlichen Interesse. Gewiss gibt es die Renaissance (nahda) des 19. Jahrhunderts. Sie brachte manches Gute. Dennoch ist es ihr nicht gelungen, den Islam wieder ganz in der Entwicklung der Geschichte hineinzubringen, und der durchlaufene Weg könnte, im Vergleich zu dem, der noch vor uns liegt, unbedeutend erscheinen.[…]
Man muss diese Schwierigkeiten, die Vorurteile und Misstrauen hervorrufen, offen und gelassen ausbreiten, wenn man sie verbannen und überwinden will. Solange es also Superi¬oritätskomplexe auf der einen Seite und Inferioritätskomplexe auf der anderen Seite gibt, kann sich kein erfolgsversprechender Dialog anbahnen.
3. DER ISLAM MUSS SEINE SCHWIERIGKEITEN ÜBERWINDEN
Sagen wir jedoch gleich, um jedes Missverständnis auszuräumen, dass
der Islam an sich dem Christentum gegenüber keine Komplexe zu haben braucht, wenn auch die Christen und die Muslime zur Zeit ungleich für den Dialog vorbereitet sind.[…]
Die geographischen Grenzen sind heute durchlässig: sie verhindern weder die menschlichen Kontakte, noch die Ansteckung durch Beispiele, weder das Buch, noch den Film und noch weniger die Wellen des Rundfunks und des Fernsehens. Die Iso¬lierung wird mehr und mehr ein Hirngespinst in einer Welt des Um¬bruchs und ist dem Widerspruch ausgeliefert. Allem Anschein nach muss die Menschheit eine neue Pubertätskrise durchmachen. Es gibt kein Mittel, den Auseinandersetzungen zu entfliehen. Die Demokratisierung des Unterrichtswesens, der Zugang zur Schule und immer mehr auch zur Universität, die Hebung des Lebensstandards und der Allgemeinbildung, die Anforderungen, die davon ausgehen: alle diese manchmal brutalen Veränderungen, können für Muslime, die bis jetzt damit nicht in Berührung kamen, immun dagegen sind", verhängnis¬voll sein. Die Religionen sind immer weniger sozialbedingt und ver¬langen immer mehr ein persönliches und bewusstes Engagement. Wenn also der gelebte Islam es nicht fertigbringt, die Spiritualität seiner Anhänger durch den Dialog mit allen anderen Geistesrichtungen zu erneuern, und nicht versucht, alle Werte, die mit seinem Zeugnis vereinbar sind, wie in der Vergangenheit zu integrieren, dann be¬schwört er mit Sicherheit die Gefahr des Zerfalls seiner Mission auf Erden herauf.
Die Entislamisierung macht sich schon bemerkbar auf den Universitäten, unter der Jugend ganz allgemein und in den Rängen der sozial bessergestellten Schichten, die oft für den Islam im besten Falle nur noch eine sentimentale Liebe übrighaben, wie für ein ehrwürdiges kulturelles Erbe. Schließlich ist das Wagnis des Dialogs mit den Gläubigen und Ungläubigen, wie auch immer die Verschiedenheiten und Ungleichheiten sein mögen, nicht so gefährlich wie die Verhärtung und das Festhalten an Grenzen in einer Welt, die mehr und mehr ohne Grenzen ist. […]
4. DIE BEDINGUNGEN DES DIALOGS
Wir sind uns darüber im Klaren, dass der Dialog zwar möglich, aber nicht bequem ist. Deshalb müssen wir die Bedingungen klar heraus¬ stellen, die es erlauben, ihm die größtmöglichen Chancen zum Erfolg zu geben, damit er gleich vorteilhaft für alle ist, also nützlich und dauerhaft. […] Man muss dabei zwei Haltungen vermeiden, die beide Missverständnisse, Verärgerung und Verbitterung erzeugen könnten: den polemischen Geist und den Geist des Kompromisses und der Gefälligkeit.
Polemik vermeiden
Der polemische Geist hat im Mittelalter einen unberechenbaren Schaden materieller, intellektueller und moralischer Art angerichtet, weil er durch Karikaturen und Fälschungen die Unkenntnis förderte und unter dem Deckmantel der Wahrheit die Lüge verbreitete.[…]
Ganz richtig schreibt W. Mont¬gomery: "Wenn ein Christ und ein Muslim nur darauf aus sind, Argumente gegeneinander zu suchen, werden sie mühelos viele finden, aber das führt nicht zum Dialog" (Islamic Revelation in the Modern World, Edinburgh 1969, 5. 121). Man sollte also sorgfältig darüber wachen, die Polemik im Keim zu ersticken. Das sicherste Mittel, sie daran zu hindern, ihre Ver¬heerungen und Verbrechen gegen den Geist zu wiederholen, besteht im Verzicht, dem Dialog das offene oder versteckte Ziel der Bekehrung des anderen zu geben. Wenn der Dialog als eine neue Form des Pro¬selytismus geplant ist, als Mittel, die Überzeugungen des Anderen zu untergraben und seinen Zusammenbruch oder seine Übergabe herbei¬zuführen, wird man sich früher oder später in derselben Lage be¬finden wie im Mittelalter. Nur die Strategie hätte sich geändert. […]
Die Grenzen haben sich geändert
[…] Alle Gläubigen, ohne Unterschied, sollten sich […] bewusst werden, dass die Welt sich seit dem Mittelalter sehr verändert hat. Die Grenzen verlaufen nicht mehr wie vorher. Es sind heute nicht mehr so sehr die verschiedenen Vorstellungen, die man sich von Gott macht, oder die Art, ihm zu dienen, die sich gegenüber¬stehen. Eine viel größere Kluft ist entstanden zwischen denen, die das Schicksal des Menschen ohne Gott aufbauen wollen und denen, die es sich nur in Gott und durch Gott vorstellen können; zwischen denen, die alle Religionen ohne Unterschied in den Mülleimer der alten Mythen werfen, und denen, die weiterhin an ihre unerforschliche un¬endliche Wahrheit glauben. […]
Man bekehrt nicht mehr durch Polemik
Bekehrungen werden heute übrigens bei den großen, auf der gleichen Ent¬wicklungsstufe stehenden Religionen nicht mehr durch Proselytismus und Polemik erreicht. Weder die Bekehrung des Carlo Coccioli, des Autors von "Tourment de Dieu", der Christ war und Jude wurde, noch die von Edith Stein, die den entgegengesetzten Weg durchlief und dennoch in Auschwitz als Jüdin verbrannt wurde, noch die von Isabelle Eberhardt, die sich in den "Warmen Schatten des Islam" flüchtete, wurde auf diesen Weg erreicht. Ihre Konversionen waren das Ergebnis anspruchsvoller und komplexer geistiger Wege, Frucht heftiger psy¬chologischer, individueller Dramen, wodurch sie umso mehr Wert und Tiefe erhielten.
Die Pflicht des Apostolats
Aber bedeutet es nicht für eine Religion, ihre universale Berufung zu verkennen, wenn sie darauf verzichtet, sich die Bekehrung derer als Ziel zu setzen, die ihr noch nicht eingegliedert sind? Heißt das nicht, sich zu verleugnen und die Pflicht zum Apostolat ver¬letzen? Um ganz aufrichtig und wirksam zu sein, ist es nun an der Zeit, alle Zweideutigkeiten zu beseitigen und den zweiten Fallstrick, der zu vermeiden ist, ans Licht zu bringen: die übertriebene Gefällig¬keit und den Kompromiss. Niemand, Gläubiger oder Atheist, darf mit seinem Glauben oder seinen Ideen mogeln. Das ist das kategorische Gesetz des Fortschritts und des asymptotischen Strebens nach Wahrheit. Überzeugungen, die echt sind und aus der Tiefe heraus gelebt werden, können nicht gewechselt und geändert werden. Es handelt sich also nicht darum, von einem Extrem ins andere zu fallen, Gefälligkeits¬lösungen zu suchen, die doch nur unechten, gezwungenen Synkretismus und Verworrenheit zur Folge haben, wenn nicht eine innere zwingende Entwicklung dazu führt. Der Dialog, der uns in diesem Zusammenhang interessiert, ist keine Politik, d.h. keine Kunst des Kompromisses. Es ist von höherem Niveau. Es setzt die totale Aufrichtigkeit vor¬aus, und um erfolgreich zu sein, verlangt er von jedem, ganz sich selbst zu sein, ohne Streitsucht aber auch ohne Nachgiebigkeit. Man findet so die Pflicht zum Apostolat uneingeschränkt wieder, aber gesäubert von den Schlacken der Polemik und des Proselytismus, die nur Blindheit erzeugen. Aus dieser Sicht wird das Apostolat wesent¬lich aufmerksame Offenheit dem anderen gegenüber, unaufhörliche Suche nach dem Wahren durch die fortwährende Vertiefung und Verinnerlichung des Glaubens und schließlich reines Zeugnis (dschihad). Das wird mit Recht alle verwundern, denen bei diesem Wort noch der Lärm aller heiligen Kriege der Vergangenheit und der Zukunft in den Ohren dröhnt. Für sie möchten wir klar herausstellen, dass dschihad etymologisch und wesentlich nicht Krieg bedeutet und wenn er noch so heilig wäre. (…) Dschihad ist also etwas anderes. Er ist im Wesentlichen und in seiner ganzen Ausdehnung totale und extreme Anstrengung auf dem Wege Gottes (fi sabil Allah), und die Tradition hebt hervor, dass die reinste auch die dramatischste und zugleich die fruchtbringendste Form des dschihad al-akbar diejenige ist, die sich im Inneren der Seele abspielt.
Die beste Form des Apostolats ist also das Zeugnis eines Menschen, der den Kampf um die moralische Vollkommenheit gewonnen hat. Diese Form des Apostolats durch das Zeugnis ist die einzige - d.h. einzig erfolgversprechende -, die mit unserer Zeit zu vereinbaren ist. Sie kann den Proselytismus entbehren. Wurde nicht übrigens der Prophet selbst daran erinnert, dass es zu guter Letzt Gott ist, der den, den er will, zu sich führt? (Koran 28,56). Mit einem Wort, unsere Pflicht zum Apostolat besteht darin, Zeugnis zu geben, und es ist Gottes Sache, zu bekehren: "Und so haben wir euch zu einer Gemeinschaft in der Mitte gemacht, damit ihr Zeugnis für die (anderen) Menschen seiet und der Gesandte für euch Zeuge sei." (Koran 2,143)
Es ist also nicht unmöglich, eine islamische Theologie zu erarbeiten, die mit dem gewissenhaften Respekt vor dem anderen vereinbar ist. Es ist klar, dass dies für das Christentum - das die Religion des Zeug¬nisses durchs Martyrium ist - nicht weniger selbstverständlich ist als für alle Religionen. Die Koexistenz, besser die Zusammenarbeit ohne Selbstaufgabe, ohne Verzicht auf die eigene Überzeugung, wird dann nicht nur möglich, sondern auch fruchtbar. Obwohl sie die Extreme des polemischen Proselytismus und der Gefälligkeit des Kompromisses meidet, bleibt die Pflicht zum Apostolat dennoch ganz erhalten. Sie nimmt nur die edelste und schwierigste Form an, die des verinner¬lichten dschihad, und öffnet den Weg zu einem gesunden Wetteifer im Guten. Aber damit sich der verinnerlichte dschihad nicht verhärtet in einem egoistischen, mystischen Rückzug oder sich passiv auf sich selbst beschränkt oder verweichlicht in einem leichten, guten Ge¬wissen oder sogar in Gleichgültigkeit, muss er zu gleicher Zeit Zeug¬nis und Bereitschaft, Suchen und Unruhe bleiben. Die Rolle des Dialogs kann da ausschlaggebend sein. Indem er ein gesundes Klima des Aus¬tausches und der intellektuellen und geistigen Spannung schafft, wird er eine fortwährende und gegenseitige Vertiefung der Glaubenswerte fördern.
Die Vielzahl der Wege zum Heil
Aber eine solche Haltung setzt voraus, dass man die Vielzahl der Wege zum Heil anerkennt. Dieses Problem ist eines der schwierigsten. Hier wiegt die Vergangenheit noch schwerer als sonst wo. Die theologischen Systeme aller Konfessionen, einige wenige ausgenommen, sind auf dem¬selben Grundsatz - verschieden ausgedrückt - aufgebaut: "Außerhalb der Kirche kein Heil". Selbst innerhalb jeder Religionsgemeinschaft wird der Kern der Treuen, die das Heil verdienen, noch kleiner durch das Ausscheiden der Häretiker, die zur ewigen Verdammnis verurteilt werden. So kommt man dazu, zu denken, dass außer einigen Auserwählten die überwältigende Mehrzahl der Menschheit zur Hölle bestimmt ist.
Und dennoch behaupten alle Religionen, dass Gott Gerechtigkeit, Barm¬herzigkeit und Liebe sei. In diesem Bereich brauchen wir eine wirkliche theologische Erneuerung und eine radikale Gesinnungsänderung. Denn wie soll man im Klima der Offenheit und ohne Misstrauen einen Dialog führen, wenn man den Partner gleich zu Anfang und von Amts wegen ans Höllentor nagelt, nur wegen seiner Überzeugung?
Auf Seiten der katholischen Kirche hat sich vor allem seit dem Zweiten Vatikanum eine Entwicklung angebahnt, die sich besonders an die Muslime wendet (siehe die Erklärung des 2. Vatikanischen Konzils Nostra Aetate 3) […]
Im selben Geist stellt G.C. Anawati klar heraus, dass, was das Heil angeht, "die beiden Glaubensforderungen, die der hl. Paulus verlangt, im Islam bestehen und seit langem anerkannt sind... Das bedeutet, dass ich, wenn ich mit einem Muslim den Dialog beginnen will, nicht damit anfange, ihn automatisch in die Hölle zu verdammen, nur weil er Muslim ist. Ich kann ihm im Gegenteil versichern, dass er unter gewissen erfüllbaren Bedingungen, sein Heil erreichen kann, auch wenn er überzeugter Muslim bleibt.
Kann man sich einen besseren An¬fang für einen erfolgreichen Dialog denken?"
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung existiert diese Geisteshaltung schon seit dem Mittelalter. Man findet sie bei Ghazzali (1058-1111), einem allseits geachteten Theologen, den die Sunniten einstimmig als qualifizierten Sprecher des Islam (hudschdschat al-islam) betrachteten, und der in seinem Faysal al-Tafriqa, unter besonderen Bedingungen, besonders der Aufrichtigkeit und des guten Lebens, das Heil auch Nicht-Muslimen zubilligt. Ein Theologe der nahda, Muhammad 'Abduh (1849-1905), legt den folgenden Korantext in demselben Sinne aus: "Diejenigen, die glauben* (*d.h. die Muslime ), und diejenigen, die dem Judentum angehören und die Christen und die Sabäer - (alle) die, die an Gott und den Jüngsten Tag glauben und tun was recht ist, denen steht bei ihrem Herrn ihr Lohn zu, und sie brauchen sich (wegen des Gerichts) keine Angst zu machen, und sie werden (nach der Abrechnung am Jüngsten Tag) nicht traurig sein".(Koran 2,62) [...]
Wir müssen jedoch betonen, dass der Sinn dieses Textes, wie ihn die Kommentare von R. Rida und M. 'Abduh verstehen, sehr umstritten ist.[…]
Für Muhammad wie für jeden gläubigen Muslim ist der Islam die Religion, zu der alle Menschen berufen sind. Die Sure 3,85, in ihren Kontext gestellt, sagt nichts anderes aus und ist der eigentliche Schwerpunkt der koranischen Verkündigung. Der Akzent ist nur auf die Tatsache gesetzt, dass es unzulässig ist, dass wenn man in seinem Innersten vor der Wahrheit der von Muhammad überlieferten Bot¬schaft überzeugt ist, verschiedener sozialer Erwägungen des Stolzes und der Eigenliebe wegen, ablehnt, sie zu hören, oder dass man an¬dauernd aus Opportunismus das Lager wechselt. Die so handeln - und nur die, welche auch ihre Religion sein mag - schließen die Pforte des Heils. […]
Es ist also für den Islam ebenso wie für das Christentum und sicher auch für alle anderen großen Religionen nicht unmöglich, eine Theologie auszuarbeiten, die Platz für die Vielzahl der Heilswege lässt. Selbst wenn es nur wäre, weil man es der göttlichen Güte nicht verwehren kann, in einer Geste der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und der Liebe den engen Rahmen dieser oder jener Kirche zu überschreiten und sich auf alle Menschen zu erstrecken, die guten Lebens und guten Willens sind. Schließlich bleibt Gott der freie und unabhängige Richter, und wir müssen uns mit Vertrauen seiner Weisheit beugen. Auf jeden Fall müssen wir es unter¬ lassen, an seiner Stelle zu richten.[…]
5. GEGENSTAND UND AUFGABE DES DIALOGS
Gegenstand
Man wird aber einwenden: behält der Dialog noch einen Sinn und einen Gegenstand, wenn die angezeigten Schwierigkeiten behoben und die erwähnten Bedingungen erfüllt sind?
Ganz gewiss! Der Dialog ist gerade dann die uneigennützige Zusammen¬arbeit ohne Hintergedanken im Dienste Gottes, d.h. im Dienste des Guten und der Wahrheit.
In einem entspannten, geläuterten und sachlichen Klima kann sich der Dialog anbahnen zum Nutzen aller. Wir sollten uns keiner Illusion hin¬geben: wenn der Dialog nicht für jeden gleichermaßen erfolgreich ist und nicht jeder Partner seinen Anteil findet, wird er nicht zustande kommen oder bald abbrechen. Jede Gemeinschaft wird, wenn sie sich be¬droht fühlt, Schranken errichten und sich krampfhaft an ein intellek¬tuelles Protektionssystem klammern, das ebenso wenig Erfolgschancen hat wie wirtschaftliche Protektionsmaßnahmen. Denn in schwerer Gefahr denkt man nicht an die Folgen der Isolierung; der Erhaltungstrieb ist dann immer der stärkere.
In einer Atmosphäre des Vertrauens hingegen zirkulieren die Ideen leichter, und sie sichern die Bereicherung aller durch das, was beide Seiten geben. Das erste Ziel, das sich der Dialog also stecken muss, besteht darin, die trennenden Mauern niederzureißen und das Gute in
der Welt durch den freien Austausch der Ideen zu vermehren. Die ganze Menschheit, ob materialistischer oder spiritueller Orientierung, hat ein Interesse daran, die Lösung der großen Probleme, die manchmal so¬gar den Sinn unseres Lebens in Frage stellen, mit anderen Lösungen
zu vergleichen und sie wenn möglich, gemeinsam zu erarbeiten. Es ist in Wirklichkeit nicht so schwer, sich über das Trennende hinweg die Hände zu reichen, selbst wenn die Quellen der Inspiration verschieden oder sogar entgegengesetzt sind. Die im Wachsen begriffene kulturelle Einheit, eines der auffallendsten Phänomene unserer Zeit, rückt die Menschen jeden Tag einander näher und stellt sie auf die gleiche Ebene. Gläubige und Ungläubige aller Richtungen überdenken oft zu ihrem eigenen Vorteil die wichtigen Probleme unserer Zeit gemeinsam und be¬reichern sich gerade durch ihre jeweilige Verschiedenheit. Für alle Gläubigen, die vereint sind im einmütigen Dienste Gottes, muss es daher in einem zuvor bereinigten Klima leichter sein, gemeinsam zu überlegen und eine gemeinsame Sprache zu finden. Nichts widerspricht z.B. einer gemeinsamen Überlegung der Fragen, die das Konzilsdokument "Nostra Aetate" stellt: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist Gut, was ist Sünde? Woher kommt das Leid und welchen
Sinn hat es? Was ist der Weg zum Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unausprechliche Geheimnis unserer Existenz? Woher kommen wir und wohin gehen wir? Jede dieser Fragen könnte das Thema eines oder mehrerer Gespräche sein. Warum sollte man keine solche Gesprächsrunden organisieren und die Vertreter der biblischen und nichtbiblischen Religionen dazu ein¬laden? Um eine Verhärtung der Fronten zu vermeiden, ist es gut, diese Versammlungen offen zu halten für Denkrichtungen, die so verschieden¬artig wie möglich sind. Es gibt ja auch Kongresse, die periodisch die Geschichtswissenschaftler, die Philosophen oder die Physiker aller Kontinente versammeln. Warum sollte es keinen geben, der die Gläubigen aller Richtungen zusammenbringt, damit die Fragen, die sich alle stellen, von vielen Seiten eine Antwort erfahren? Solche. Versammlungen wären äußerst nützlich, und wäre es nur, damit die offiziellen Vertreter der verschiedenen Kirchen - und nicht nur die intellektuellen Außenseiter - anfingen/mit einander Kontakt aufzunehmen und sich gegen¬seitig kennenzulernen. In unserer Welt des Widerspruchs wäre eine Ab¬kapselung für eine Religion wie eine Morphiumspritze, die ein ruhiges Sterben ermöglicht.[…]
Es bestehen also echte Möglichkeiten der Verständigung und des Austausches. Wichtig ist nur, zu wissen, wie man sie entdeckt und festigt. Der Aufbau einer Religionstheologie, einer Sozialtheologie mit direktem Bezug auf die Herausforderung unserer Zeit sowie andere Formen der Überlegung oder der Tat können nur profitieren von der Zusammenarbeit derer, die glauben, dass das Schicksal des Menschen im Plan Gottes ein¬gefügt ist und ein Dasein als Ziel hat, das sich nicht auf diese Welt beschränkt. Im Gegensatz dazu stehen die, welche den Menschen zum ver¬gänglichen Maß aller Dinge machen in einem geschlossenen Universum ohne Ausgang; als Frucht nicht der göttlichen, bewussten, schöpferischen Tätigkeit, sondern der Notwendigkeit und des Zufalls. Wenn alles, was ihm schaden könnte, ausgemerzt wird, ist der Dialog dennoch nicht leer und inhaltslos. Er gewinnt vielmehr an Tiefe und Sinngehalt. Der weite Bereich der Ethik genügt, um ausgiebigen Gesprächsstoff zu liefern in einer Welt, die dem Scheitern nahe und auf der Suche nach einer neuen Ordnung der Gesellschaft und der Werte ist. Was bietet die Botschaft Gottes allen Enterbten, allen Entrechteten der Welt, all jenen, die gebeugt sind, die beten, bitten oder widersprechen, sich empören oder fluchen? In diesem Bereich ist der Dialog am dringendsten, denn von der Antwort hängt in Zukunft die Gegenwart Gottes in den Herzen der Menschen ab.[…]
Aufgabe des Dialogs
Aber auch wenn die positiven Ergebnisse des Dialogs sich in bescheidener Rahmen halten und sein Inhalt beschränkt ist, so bleibt doch seine Aufgabe. Sie besteht darin, aufzurütteln, in Bewegung zu setzen und Menschen daran zu hindern, an ihren Überzeugungen krampfhaft festzu¬halten. Jeder hat natürlich das Recht, diesen oder jenen Standpunkt nicht zu teilen, aber er findet keine Entschuldigung, wenn er nicht anfängt, Kenntnis davon zu nehmen und sich ausreichend zu informieren. Bevor man den anderen belehrt - wenn man nicht sinnvoll mit ihm über diesen oder jenen Punkt einen Dialog führen kann -, muss man ihn wenigstens anhören. Wir möchten besonders den Muslimen in aller Deut¬lichkeit sagen, dass die Ideen, die den Ruf haben, am gefährlichsten zu sein, sich manchmal als die heilsamsten herausstellen, und wäre es lediglich wegen ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit alte Ideen zu ent¬rosten, sofern sie nur wie ein reinigender Schock auf ein waches und entsprechend vorbereitetes Bewusstsein stoßen. Andernfalls könnten sie einen überstürzten Zusammenbruch und Zerfall wurmstichiger Strukturen bewirken, ohne dass sie etwas Positives geleistet hätten. Dieses Ri¬siko ist, was den derzeitigen Stand des Islam angeht, zu reell, als dass nicht darauf aufmerksam gemacht werden müsste. Aber weder der Islam noch irgend ein anderer Glaube an Gott hat heute eine andere Wahl, als das Wagnis des Dialogs/zu riskieren. […]
Eine neue Exegese, die nicht unbedingt die reichen Ergebnisse und Er¬rungenschaften der Vergangenheit zu leugnen braucht, ist das Gebot der Stunde. Und sie benötigt ein Klima des Wagnisses, des Austausches und der Spannung, um der Zeit gerecht zu werden und auf die Probleme zu antworten. Wenn er dieses befruchtende Klima schafft, das dem Islam Jahrhunderte lang leider fehlte, kann der Dialog die Rolle haben, die Muslime aus ihrer falschen Bequemlichkeit herauszuführen und von neuem ihre Herzen und ihre Ohren der Botschaft Gottes zu öffnen. Denn wenn das Wort Gottes, wie jeder Muslim glaubt, ewig ist, ergibt sich da¬raus notwendigerweise, dass obwohl die Offenbarung zu einer bestimmten Stunde in der Geschichte und an einem bestimmten Ort erfolgt ist, das Wort Gottes über Zeit und Raum hinausgeht und so immer und überall hör¬bar, gegenwärtig' und beständig neu ist. Es darf also nicht statisch verstanden, nicht nur passiv empfangen werden, sondern wie eine Summe von noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten, die unaufhörlich durch ein immer neues Infragestellen realisiert werden müssen. Diese Forde¬rung ist nicht unbedingt revolutionär. Sie ist die Forderung vieler Exegeten der Vergangenheit, die gerade vom Reichtum der Interpretations¬möglichkeiten des Korans fasziniert waren, der die gewöhnlichen Schranken der Sprache unter dem überwältigenden Druck seiner Ausdrucks¬fähigkeit durchbricht. Daher die Notwendigkeit, Gott, der in jedem Augenblick und beständig gegenwärtig ist, mit den Ohren von heute zu hören. Die Wiederbelebung einer modernen Exegese, die Klugheit und Kühnheit in sich vereinigt und die in direktem Kontakt mit den Ängsten, Unruhen und Fragen unserer Zeit steht, ist also die Bedingung sine qua non, damit Gott in der Welt nicht seiner Rechte beraubt wird, sondern in der Geschichte der Menschheit gegenwärtig wird. Sie kann sich nir¬gends entwickeln als im Klima des Dialogs mit allen Menschen, Gläu¬bigen und Ungläubigen. […]
6. HORIZONTE
Wohin führt schließlich diese im Geiste der Offenheit und nicht der Isolierung geführte Forschung? Niemand wird es mit Genauigkeit sagen können. Es handelt sich um ein Wagnis, das wir Tag für Tag leben müs¬sen. Wird die Religionseinheit am Ende des Labyrinthes sein? […]
So stoßen wir am Ende auf das unerforschliche Geheimnis des Planes Gottes und des Schicksals der Menschen. Wir müssen also unsere Meinungs¬verschiedenheiten und Gegensätzlichkeiten in Kauf nehmen und so in guten Taten wetteifern, damit die Prüfung der Entzweiung verkürzt wird. Wir müssen es auch vermeiden, zu viel unbegründete Hoffnung auf den Dialog zu setzen, um uns gegen Bitterkeit und Entmutigung zu schützen und bei Wind und Wetter durchhalten zu können. Machen wir uns keine Illusionen: trotz aller Vorsichtsmaßnahmen wird es dennoch auseinanderstrebende Wege geben. In der Vergangenheit hat es noch nie einen Zauberstab gegeben, mit dem man durch einen einzigen Schlag die Missverständnisse hätte aus dem Wege räumen und die Welt verwandeln können. In Zukunft wird es wohl auch keinen geben. Der Dialog ist eine lange Geduldsprobe. Wenn es ihm gelingt, ein allmähliches Sich-¬Näherkommen anzubahnen, wenn er Gleichgültigkeit oder feindliche Zu¬rückhaltung durch echte Freundschaft oder sogar durch wahre Brüder¬lichkeit ersetzt - trotz der Verschiedenheit der Bekenntnisse und Meinungen - dann ist das schon viel. Dialog führen heißt nicht not¬wendigerweise, eine gemeinsame Lösung zu suchen, und noch weniger, auf Biegen und Brechen eine Übereinstimmung zu finden. Die Aufgabe des Dialogs ist es vielmehr, größere Klarheit und Offenheit in die Debatte zu bringen und allen Partnern zu ermöglichen, über sich hinauszu¬wachsen, anstatt sich in ihrer Sicherheit wohl zu fühlen. Der Weg zum Reiche des Lichtes wird lang sein, und Gott hat ihn mit dem Schleier des Geheimnisses umhüllen wollen.[…]
*(Gekürzter Text des Essays von Muhammad Talbi, Islam und Dialog. Köln: CIBEDO, 1981. (Das wurde Original im Jahr 1972 in Tunis veröffentlicht.)