Frage 42:
”Was für eine Religion ist das Christentum angesichts der Tatsache, dass die Protestanten die Katholiken nicht als Christen anerkennen und behaupten, die Katholiken würden in die Hölle fahren. Dies, obwohl Protestanten und Katholiken an den gleichen Prophet und die gleichen Evangelien glauben? Lehrt Euch Euer Buch nichts über Toleranz? Sind Auffassungen wie die eben genannten nicht grausam und erbarmungslos? Werden nur die Protestanten in den Himmel kommen? Steht eine solche Lehre in Eurer Heiligen Schrift?“
Antwort:
In diesen beiden Fragen scheint es mir im Wesentlichen um folgende Einzelfragen zu gehen:
a. Worin besteht nach katholischer Sicht die Einheit der Kirche?
b. In welcher Weise ist diese Einheit im Laufe der Geschichte verletzt worden?
c. Welche Wege verfolgt die Kirche zur Wiedergewinnung der Einheit?
d. Wie sieht die Kirche das Verhältnis der nichtkatholischen Christen zu sich selbst?
Ich beantworte diese Fragen auf der Basis der Aussagen der Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) – ganz besonders vom Dekret über die Kirche Lumen Gentium ((LG) und dem Dekret über den Ökumenismus „Unitatis Reintegratio“ (=UR) aus – und des nach dem Konzil veröffentlichten, offiziellen Katechismus der Katholischen Kirche (=KKK) (München u. a.: 1993). ISBN 3 486-56005 oder 3 486 55999 0.
Ad a) Worin besteht nach katholischer Sicht die Einheit der Kirche?
Die Kirche ist eine von ihrem Ursprung her, der Einheit des einzigen Gottes, des Vaters und des Sohnes im Heiligen Geist in der Dreiheit der Personen. Sie ist eine von ihrem Gründer her, Jesus Christus, und sie ist eine von ihrer Seele her, dem Heiligen Geist, der in den Gläubigen wohnt und die ganze Kirche erfüllt und leitet.
Von Anfang an weist indes die Kirche eine große Vielfalt auf. Diese rührt von der Vielfalt der Gaben Gottes aber auch von der Vielzahl der sie empfangenden Menschen. „Unter den Gliedern der Kirche besteht eine Vielfalt von Gaben, Aufgaben, Lebensbedingungen und Lebensweisen; in der kirchlichen Gemeinschaft gibt es zu Recht Teilkirchen, die über eigenen Überlieferungen verfügen’ (LG 13). Der große Reichtum an Verschiedenheiten steht der Einheit der Kirche nicht entgegen, sondern die Sünde und ihre Folgen belasten und bedrohen diese Gabe der Einheit unablässig.“ (KK 814).
Welches sind die Bande der Einheit der Kirche? Vor allem ist es die Liebe, „das Band der Vollkommenheit“ (Kol 3,14). Die Einheit der Kirche wird aber auch durch folgende sichtbare Bande der Gemeinschaft gesichert:
- das Bekenntnis ein und desselben, von den Aposteln überlieferten Glaubens ;
- die gemeinsame Feier des Gottesdienstes, vor allem der Sakramente;
- die apostolische Sukzession (d.i. die ununterbrochene Nachfolge der Bischöfe und Priester auf die Apostel), die durch das Weihesakrament die brüderliche Eintracht der Familie Gottes aufrechterhält.
„Die einzige Kirche Christi…zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen, ihm und den übrigen Aposteln hat er ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut…Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in [lat.: subsistit in] der katholischen Kirche, die vom Nachfolger des Petrus und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird“ (LG 8).
Ad b) In welcher Weise ist diese Einheit im Laufe der Geschichte verletzt worden?
„In dieser einen und einzigen Kirche Gottes sind schon von der ersten Zeiten an Spaltungen aufgekommen, die der Apostel [Paulus) als schwer verwerflich tadelt.; in den späteren Jahrhunderten aber sind ausgedehntere Uneinigkeiten entstanden, und es trennten sich nicht unbedeutende Gemeinschaften von der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirche, bisweilen nicht ohne Schuld der Menschen auf beiden Seiten“ (UR 3)
Zu den Gemeinschaften die so durch Trennung von der katholischen Kirchen entstanden sind, gehören auch die „Protestanten“, die sich auch und vorzugsweise als evangelische Christen bzw. Evangelische Kirche(n) bezeichnen.
„Denen aber, die jetzt in solchen Gemeinschaften geboren sind und mit dem Glauben an Christus erfüllt werden, können keine Vorwürfe wegen der Trennung gemacht werden und die katholische Kirche begegnet ihnen in brüderlicher Achtung und Liebe…sie werden aufgrund des Glaubens in der Taufe gerechtfertigt, Christus einverleibt, und darum gebührt ihnen der Ehrennahme des Christen, und mit Recht werden sie von den Kindern der katholischen Kirche als Brüder im Herrn anerkannt“ (UR 3).
Zudem sind außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche „vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden“ (LG 8): „das geschriebene Wort Gottes, das Leben der Gnade, Glaube, Hoffnung und Liebe und andere innere Gaben des Heiligen Geistes und sichtbare Elemente“ (UR 3). Der Geist Christi bedient sich dieser Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften als Mittel zum Heil. Ihre Kraft kommt aus der Gnaden- und Wahrheitsfülle, die Christus der katholischen Kirche anvertraut hat. Alle diese Güter stammen von Christus, führen zu ihm und drängen von selbst „auf die katholische Einheit hin“ (Lumen Gentium 3).
Ad c) Welche Wege verfolgt die Kirche zur Wiedergewinnung der Einheit?
Christus gibt seiner Kirche stets die Gabe der Einheit, aber die Kirche muss ständig beten und arbeiten, um die Einheit, die Christus für sie will, zu erhalten, zu stärken und zu vervollkommnen. Um dieser Gabe richtig zu entsprechen bedarf es:
- einer dauernden Erneuerung der Kirche in einer größeren Treue zu ihrer Berufung. Diese Erneuerung ist die Triebkraft der Bewegung hin zur Einheit:
- der Bekehrung des Herzens, um nach einem reinen Leben gemäß dem Evangelium zu streben, denn die Untreue der Glieder gegenüber der Gabe Christi verursacht die Trennung von der katholischen Kirche;
- des gemeinsamen Gebetes, denn „die Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens ist in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit der Christen als die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung anzusehen; sie kann mit Recht geistlicher Ökumenismus genannt werden“ (UR 8);
- der gegenseitigen brüderlichen Kenntnis;
- der ökumenischen Bildung der Gläubigen und vor allem der Priester;
- des Gesprächs zwischen den Theologen und der Begegnung zwischen den Christen der verschiedenen Kirchen und Gemeinschaften.
- der Zusammenarbeit der Christen in den verschiedenen Bereichen des Dienstes am Menschen.
Ad d) Wie sieht die Kirche das Verhältnis der nichtkatholischen Christen zu sich selbst?
„Zu dieser katholischen Einheit des Gottesvolkes … sind alle Menschen berufen. Auf verschiedene Weise gehören ihr zu oder sind ihr zugeordnet die katholischen Gläubigen, die anderen an Christus Glaubenden und schließlich alle Menschen überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind“ (LG 13).
„Jene werden der Gemeinschaft der Kirche voll eingegliedert, die im Besitze des Geistes Christi, ihre ganze Ordnung und alle in ihr eingerichteten Heilsmittel annehmen und in ihrem sichtbaren Verband mit Christus, der sie durch den Papst und die Bischöfe leitet, verbunden sind, und dies durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung und Gemeinschaft. Nicht gerettet wird aber, wer, obwohl der Kirche eingegliedert, in der Liebe nicht verharrend und im Schoße der Kirche zwar ‚dem Leibe’, aber nicht ‚dem Herzen’ nach verbleibt“ (LG 14).
„Mit jenen, die als Getaufte mit dem christlichen Namen geziert sind, den vollständigen Glauben aber nicht bekennen oder die Einheit der Gemeinschaft unter dem Nachfolger des Petrus nicht wahren, weiß sich die Kirche aus mehreren Gründen verbunden“ (LG 15). „Wer an Christus glaubt und in der rechten Weise die Taufe empfangen hat, steht dadurch in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche“ (UR 3). Die Gemeinschaft mit den orthodoxen Kirchen ist so tief, „dass ihr nur wenig fehlt, um zur Fülle zu gelangen, die zu einer gemeinsamen Feier der Eucharistie berechtigt“ (Paul VI, Ansprache vom 14. Dezember 1975) (Siehe KK 836-838.)