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Die Vielzahl der Religionen und die Religionsfreiheit

I. Muslime fragen

  • Warum gibt es so viele Religionen, obwohl Gott allen Menschen ein und dieselbe menschliche Natur verliehen hat?
  • Jede Religion, das Christentum allen voran, beansprucht, universal zu sein. Wie können verschiedene Religionen ,universal‘ sein? Es kann doch wohl nur eine wirklich universal sein. Die anderen Religionen wären dann nur teilweise oder nur vorläufig wahr.
  • Alle Religionen haben Kriege verschuldet, bis in unsere Tage: siehe z. B. Libanon, Nordirland, Sri Lanka, usw. Die Religionen sind eben allesamt Superstrukturen, manipuliert oder instrumentalisiert von imperialistischen und sozio-ökonomischen Mächten.
  • Müsste man nicht eher von der Idee einer universalen Religion ausgehen, einer Art Synthese aller Religionen?
  • In unseren Tagen spricht die Kirche von Religionsfreiheit. Das war nicht immer so. In der Vergangenheit hat sie Imperialismus und Kolonialismus für ihre eigenen Zwecke benutzt. Macht sie sich jetzt nicht nur deshalb zum Advokaten der Religionsfreiheit, weil sie sich selbst nicht mehr durchsetzen kann?
  • Das Prinzip der Religionsfreiheit ist gut. Dennoch: Kann man erlauben, dass jemand der wahren Religion den Rücken zukehrt und gar zu einer anderen Religion konvertiert? Stellt das Prinzip der Religionsfreiheit nicht eine Gefahr dar, die die Religionen bedroht?
  • Wie ist es möglich, dass jemand den Koran liest, ohne Muslim zu werden? Da muss man schon ein Heuchler sein, wie die Orientalisten.

 

II. Muslimische Sicht

 

Allgemein

 

1. Der Islam ist die einzig wahre, vollkommene und bleibende Religion. Er hat alle wahren Werte der anderen Religionen in sich aufgenommen. Der traditionell denkende Muslim ist darüber erstaunt, dass es heute noch Juden und Christen gibt, denn diese Religionen sind doch eigentlich mit dem Kommen des Islam irrelevant geworden. Judentum und Christentum sind vorläufiger Natur und bestenfalls nur teilweise wahr. Sie sind gedacht für begrenzte menschliche Gemeinschaften. Es gibt keinen echten religiösen „Wert“ außerhalb des Islam, denn der Islam ist die einzige Religion, die wahrhaft universal ist.

 

2. Die „Religionskriege“ sind eine historische Tatsache. In der Vergangenheit fanden sie zwischen der islamischen und der christlichen Welt statt, zwischen Katholiken und Protestanten. Auch heute gibt es noch kriegerische Auseinandersetzungen im Namen der Religion, siehe z. B. Libanon, Nordirland, die Philippinen, Sudan etc.

 

3. Das Zusammenspiel der Religion des Christentums mit dem Imperialismus, Kolonialismus und Nationalismus wird von vielen Muslimen als erwiesene Tatsache vorausgesetzt.

 

4. Der Wechsel von einer Religion zu einer anderen kann nicht rechtens sein. Man wird als Mitglied einer gegebenen Religion geboren und muss sich an sie halten, denn sie stellt ein wesentliches Element der persönlichen, kollektiven und nationalen Identität dar. Die Konversion zum Islam allerdings ist davon auszunehmen, denn hier handelt es sich um den Eintritt in eine Gemeinschaft und Struktur, die alle partiellen Identitäten ersetzt und unnötig macht.

 

Im Einzelnen

 

1. Den ganzen Koran prägt die Sehnsucht danach, dass alle Menschen in einer einzigen religiösen Gemeinschaft, der umma, vereint werden, so wie Gott es von allem Anfang an wollte. Die Menschen jedoch teilten sich schon bald in verschiedene Religionen auf, deren jede beanspruchte, die einzig wahre zu sein (Sure 10,19; 11,118; 21,92; 43,33).

 

2. Der Islam ist die letzte Religion und ist vollkommen, abschließend und universal. Er wurde verkündet von Muhammad, dem „Siegel der Propheten“, als der einzige wahre Weg, das Heil zu erlangen (Sure 3,19.73.85.110; 5,3; 9,33; 43,28; 61,9).

 

„Er ist es, der Seinen Gesandten geschickt hat mit der Rechtleitung und der Religion der Wahrheit, auf dass Er sie obsiegen lasse über alle Religionen, auch wenn die Götzendiener es hassen“ (Sure 9,33; 61,9).

 

Folglich ist es nur normal, dass der Islam und sein Anspruch sich an die gesamte Menschheit wenden (Sure 7,158; 34,28). Andere Religionen sind entweder falsch (so die Idolatrie bzw. der Polytheismus) oder vorläufig und nur teilweise wahr (wie „die Religionen des Buches“: Judentum und Christentum). Diese einmalige Religion muss sich überall ausbreiten, durch Verkündigung (da’wa: der einladende Ruf zum Islam, Äquivalent des christlichen Begriffs ‚Mission‘), und gegebenenfalls durch das Schwert. Historisch gesehen begann der Islam als friedliche Ermahnung, mit Standhaftigkeit angesichts von Verfolgung (in Mekka); später wandte er auch das Schwert an (in Medina). Nach dem Tod des Propheten „öffneten“ die „Großen Eroberungen“ den Weg für den Islam in viele Länder. In den darauf folgenden Jahrhunderten haben Muslime im Namen des Islam zahlreiche Angriffs- und Verteidigungskriege geführt. Im Allgemeinen vollzog sich die Unterwerfung der Bevölkerungen unter den Islam schrittweise und friedlich in vorher für den Islam eroberten Gebieten oder auch außerhalb der von Muslimen kontrollierten Welt. Dabei spielten muslimische Geschäftsleute und die religiösen Bruderschaften eine herausragende Rolle. Aber auch der soziale Druck auf Nicht-Muslime, dort wo diese innerhalb mehrheitlich muslimischer Gesellschaften leben, darf in seinen Auswirkungen nicht unterschätzt werden. Zeitgenössische muslimische Apologeten betonen, dass der Islam ausschließlich friedlich verkündet worden sei. Sie lassen dabei die Kriege unerwähnt, die unter dem Banner des Islam (fî sabîl Allâh) geführt wurden. Solche Kriege, so es sie denn gab, waren nach dem Dafürhalten der Apologeten immer rein defensive Aktionen.

 

3. Der Koran verkündet das Prinzip, dass jeder frei ist zu glauben oder nicht (Sure 10,40–45; 17,84.89.107), zusammen mit dem anderen heute so oft wiederholten Prinzip: „Kein Zwang in der Religion“ (lâ ikrâha fî l-dîn, Sure 2,256). Allerdings sagt der Koran klar, dass die Polytheisten glauben müssen oder aber zu töten sind (Sure 9,5; 48,16). Hingegen wird den „Leuten des Buches“, Juden und Christen, der Status von Beschützten (dhimma) angeboten: Sie können ihre – wenn auch fehlerhafte und durch den Islam überholte– Religion, ihre Hierarchie und ihre Riten behalten, müssen jedoch eine besondere Steuer (dschizya) zahlen und „klein“ (im Sinn von unauffällig und untergeordnet) bleiben (Sure 9,29). Der Muslim, der seine Religion durch Übertritt zu einer anderen Religion oder durch Taten und Äußerungen, die eindeutig gegen den Islam gerichtet sind, verlässt, wird von Gott verurteilt (Sure 3,85–90; 4,137; 16,108) und muss mit dem Tode bestraft werden (Sure 2,217 wurde seit eh und je von den Rechtsgelehrten so ausgelegt, und diese Auslegung wurde durch zahlreiche Hadise bestärkt!).

 

4. In unseren Tagen erklären sich viele islamische Länder durch ihre Repräsentanten bei der Kommission für Menschenrechte der Vereinten Nationen mit dem Prinzip der Religionsfreiheit, so wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Art. 18, mit der Betonung der Freiheit von Denken, Gewissen und Religion) formuliert ist, einverstanden, allerdings mit der Einschränkung, dass es niemandem erlaubt sei, von der wahren Religion (d. h. dem Islam) sich abzuwenden (s. Islamochristiana [Rom], Nr. 9 [1983], S. 158–159).

 

5. Unter dem Einfluss des zeitgenössischen kulturellen Umfelds und des ideologischen Pluralismus haben auch viele Muslime eine Einstellung entwickelt, wie sie heute im Westen verbreitet ist: Jedem sollte es erlaubt sein, seinem/ ihrem Gewissen zu folgen. Andere Muslime sagen, alle Religionen seien gleichwertig; ferner, Islam und Christentum seien sehr eng miteinander verwandt, wenn nicht der Substanz nach identisch. Werden solche Aussagen gemacht, so sind sie wohl im Allgemeinen kaum als Bekenntnis zu Synkretismus oder Indifferenz zu verstehen. Vielmehr stellen sie ein Bekenntnis zu einer geschwisterlichen Gemeinsamkeit derer dar, die aus dem Glauben leben wollen. Einige Muslime treten für eine universale Religion ein, selbst wenn dies praktisch auf eine Art Synkretismus hinauslaufen würde. Schließlich gibt es Muslime, die glauben, dass die Religionen – unter ihnen Christentum und Islam an erster Stelle – in einen wirklichen Dialog eintreten und versuchen sollten, einander geschwisterlich näher zu kommen, und dass sie es dabei Gott überlassen sollten, uns so weit zusammenzuführen, wie Er will. Das übergreifende Ziel sollte sein: gemeinsam in unserer Welt das Zeugnis des Glaubens an Gott zu geben.

 

III. Christliche Sicht

 

1. Die Frohe Botschaft, wie sie von Jesus verkündet und gelebt wurde, besteht in der Offenbarung Gottes als Vater aller Menschen, als alle umfassende, bedingungslose Liebe, mit einer Vorliebe für die Gedemütigten, die Armen, die Sünder, die An-den-Rand-Gedrängten. In dieser Liebe Gottes will Jesus die Menschen seines Volkes und alle Menschen sammeln. Alle Menschen – an erster Stelle die „Armen“ – sind in das „Reich Gottes“, d. h. in den Herrschaftsbereich der Liebe Gottes gerufen.

 

2. Im Neuen Testament, das den Glauben der frühesten apostolischen Kirche bezeugt, ist Jesus Christus, das Wort Gottes, die höchste, letzte und endgültige Offenbarung Gottes. Gott wendet sich in ihm an alle Menschen, das Christentum ist von seinem Wesen her universal. Die Geschichte zeigt, dass die Kirche von ihren ersten Anfängen an ihre Sendung als universale verstanden hat. Sie wusste sich im Dienst der universalen, alles versöhnenden Liebe Gottes (vgl. 2 Kor 5,18–21; Eph 2,11–12).

 

3. Geschichtlich gesehen entstand und verbreitete sich das Christentum aufgrund des dynamischen Glaubens der Apostel und der ersten christlichen Generationen. Ihr Zeugnis und ihre Verkündigung waren wirksam, trotz oder gar wegen der Verfolgungen. Nach dem Edikt von Mailand (313 n. Chr.), das der Kirche volle religiöse Freiheit garantierte und dazu führte, dass die Kirche bald darauf die offizielle Religion des Imperiums wurde, verwickelte sich das Christentum in verschiedene kriegerische Auseinandersetzungen, wurde mitverantwortlich für die Verfolgung Andersgläubiger und übte sozialen Druck auf sie aus. Im Wesentlichen handelte es sich dabei um politische Unternehmen, die jedoch christlich verbrämt wurden, um ihnen so mehr Nachdruck zu verleihen.

 

Anders war es bei den Kreuzzügen, denn hier war die religiöse Motivation (die Befreiung des Hl. Grabes) eindeutig das primäre Motiv. Das Verhältnis von Kolonialismus und Mission darf nicht nach einem einheitlichen Schema konzipiert werden. Das eine Mal begleiteten oder folgten die Missionare den Kolonialisten (den Portugiesen und Spaniern im 15. und 16. Jahrhundert); ein anderes Mal kamen sie zuerst (in Zentralafrika, China und Japan); und wieder ein anderes Mal widersetzten die Missionare sich der Kolonisation (Las Casas in Lateinamerika; Französisch Westafrika).

 

4. Die Bewertung der nichtchristlichen Religionen aus der Sicht des christlichen Glaubens hat eine lange Entwicklung durchlaufen: von Justinus (gest. 165), der von geistlichen Samen spricht, die in allen Menschen auf das Wort Gottes warteten, um Frucht zu tragen, über die Position Augustinus‘ von Hippo (354–430), der im Kontext unserer Fragestellung rhetorisch überspitzt selbst die Tugenden der Heiden als Laster erachtete, bis hin zu den Theorien, die Ungläubigen zugestehen, dass sie guten Glaubens (bona fide) und daher nicht zu verurteilen seien. In jüngerer Zeit gab es die Theorie der „pierres d’attente“ unter den Nichtchristen (d. h., die christlich-theologische Lehre von Elementen im Glauben und in der Moral der Völker und Kulturen, die sozusagen auf ihre Erfüllung und Klärung im Licht der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus warten), die dann zu den heute vorherrschenden Auffassungen führte.

 

Unter den neuen Versuchen, eine adäquate Theologie der nicht-christlichen Religionen zu entwickeln, verdienen zwei besondere Beachtung, wobei die zweite mittlerweile ein weites Echo ausgelöst hat.

 

a) Akzent auf der Unterscheidung zwischen Glauben und Religion: Diese Theorie wurde zunächst von den protestantischen Theologen Karl Barth (1886–1968) und Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) dargelegt und später mit Modifikationen von katholischen Denkern wie z. B. Jean Daniélou (1905–1974) übernommen. Religion wird hier als natürliche Bewegung der menschlichen Kreatur auf Gott hin verstanden. Die Religionen sind die kollektiven Manifestationen der Religion. Sie übersetzen sie in Riten, Frömmigkeitsformen etc. In der Auffassung zumindest des frühen Barth werden die Religionen als bloßes Menschengemächte dem Glauben an das Wort der Offenbarung negativ gegenübergestellt. Daniélou schätzt sie positiver ein: Jede menschliche Gruppe, jeder Zivilisationskreis hat seine eigene Religion. So kann man von einer keltischen, germanischen, mediterranen, afrikanischen, indischen Religion sprechen, und auch in der christlichen Religion kann man diesen Religionen vergleichbare Merkmale finden.

Auf der anderen Seite ist Glaube die menschliche Antwort auf Gottes Wort, auf Gott, der die Initiative ergreift, seinen Geschöpfen zu begegnen und sie in Frage zu stellen. Wenn Religion die Bewegung der menschlichen Seele auf Gott hin ist, dann ist Glaube die Antwort des Menschen auf das Wort Gottes, das ihn in der Offenbarung erreicht. Glaube an Jesus Christus muss sich in jeder ‚Religion‘ „inkarnieren“. Indem der Glaube mit den Religionen und den von ihnen geformten Kulturen sich kontextuell relevant verbindet, transformiert er diese und verleiht ihren Riten, Gesetzen und Traditionen neue Bedeutung. Daniélous Schlussfolgerung ist, dass der Mensch sich durch die Annahme des christlichen Glaubens „nicht von einer Religion zu einer anderen bewegt“, sondern eher, dass die eigene Religion in dieser Begegnung neu geformt und verwandelt wird.

 

b) Unterscheidung zwischen Allgemeiner und Spezieller Offenbarung: Diese neue Betrachtungsweise ist zunächst von K. Rahner (1904–1984) entwickelt worden und dann in wesentlichen Aspekten von vielen anderen Autoren übernommen worden. Gott hat, seit dem Beginn des menschlichen Lebens auf Erden, nie aufgehört, sich allen Menschen mitzuteilen. Diese „allgemeine“ Offenbarung wird von der Bibel bezeugt, mit Adam, Noach, dem Buch der Weisheit, dem Brief des Paulus an die Römer (Röm 1,19ff). Die großen nicht-christlichen Religionen sind die höheren Manifestationen dieser allgemeinen Offenbarung. Dann aber ist das Wort Gottes in „spezieller“ Weise erschienen, in der Geschichte des Volkes Gottes, beginnend mit Abraham, durch die Patriarchen und die Propheten, und schließlich, „in diesen letzten Zeiten“, durch Jesus Christus, das fleischgewordene Wort Gottes und die Fülle der Offenbarung. In dieser „speziellen“ Offenbarung wird die Selbstmitteilung Gottes, die auch in der „allgemeinen“ Offenbarung geschieht, geschichtlich gleichsam anschaubar; sie erhält ein menschliches Gesicht: Jesus von Nazaret. „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh14,9). Von ihm her wird auch die Gegenwart Gottes in allen Religionen erhellt. Aber auch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus wird in ihrer vollen Bedeutung erst am Ende der Zeiten enthüllt werden, bei der Parusie. Dem dient die christliche Verkündigung und der Dialog der Kirche mit den anderen Religionen. In der Zwischenzeit ist die Geschichte der Religionen, und auch die Existenz der nichtchristlichen Religionen, ein Beitrag zu der „Enthüllung der Bedeutung der Offenbarung“. In dieser Weise verstanden, ist die Anerkennung Jesu Christi als Fülle der Offenbarung, als Offenbarung Gottes in einem Menschen, weit davon entfernt, die anderen Religionen herabzusetzen oder ihnen gar einen Bezug zu Gott oder wahre Gottesverehrung abzusprechen. Vielmehr wird sie verstanden als eine Einladung, die anderen Offenbarungen als verschiedenartige Beiträge zu der Enthüllung der vollen Bedeutung der Offenbarung anzuerkennen. So können im Dialog der Religionen auch die Christen bereichert werden.

 

5. Das Christentum kann dem Evangelium gegenüber nur als Botschaft des Friedens und der Versöhnung treu sein. Jesus lehnte es klar und definitiv ab, der politische Messias zu sein, auf den seine Mitbürger warteten. Er entschied sich, eher zu sterben als politisch zu revoltieren; zu vergeben und nicht Gewalt und Vergeltung zu suchen. Später, als Ergebnis der Unterstützung, die ihr von Kaiser Konstantin dem Großen (reg. 306–337) verliehen wurde, trat die Kirche ihrerseits in eine so enge Beziehung zum Staat, dass sie bisweilen zu Kriegen aufrief, sie segnete und rechtfertigte. Seit Jahrzehnten nun ist es das Bemühen der Kirchen und der Päpste gewesen, bei allen möglichen Gelegenheiten den Frieden und die Gerechtigkeit zu fördern. Sicherlich anerkennt die Kirche das Recht von Individuen und von Völkern auf Selbstverteidigung und ebenso das Recht, ja gegebenenfalls die Pflicht, politischen Regimen, die eindeutig ungerecht sind, zu widerstehen. Ein Christ sollte jedoch – wo und wenn immer möglich – gewaltlose Aktion (die eben ganz und gar nicht wirkungslos ist), bevorzugen und das Seine zur Überwindung der Enge theozentrischer, nationalistischer, religiös-fanatischer Ideologien und ihres Gewaltpotentials beitragen.

 

6. Glaube ist ein freies Geschenk Gottes. Es wird vom Menschen frei angenommen oder abgelehnt. Die Geschichte weiß von „Konversionen“, die unter Zwang oder duress zustande kamen (vgl. z. B. Karl der Große und die Sachsen), oder von Fällen, wo Konversionen aufgrund rein menschlicher Motive und sozialer Faktoren zustande kamen oder zumindest davon stark beeinflusst wurden.

 

Auf lange Zeit hin war es die vorherrschende Meinung in der Kirche, das beste System der Beziehungen zwischen Kirche und Staat sei das, in dem das Christentum als die Religion des Staates proklamiert wird und wo so „Irrtum keinerlei Recht hat“. Es ist wahr, dass die Kirche von ihren Anfängen an immer wieder die Freiheit dafür gefordert hat, dass jemand ohne Benachteiligungen den christlichen Glauben annehmen könne; viel zurückhaltender war sie allerdings, wenn es darum ging, auch die Freiheit eines Christen anzuerkennen, den christlichen Glauben eigenwillig zu interpretieren oder ihn aufzugeben bzw. „zu einer anderen Religion überzuwechseln“ (vgl. die Inquisition). Das Wissen um diesen langen, schmerzhaften Prozess, in dem sich die Idee der Religionsfreiheit im Christentum entwickelte, kann uns helfen, gewisse Haltungen, Reaktionen und Schwierigkeiten auf muslimischer Seite besser zu verstehen.

 

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und seiner Erklärung zur Religionsfreiheit ist die Haltung der Kirche in dieser Sache jedoch, zumindest auf normativer Ebene, unmissverständlich klar: Religionsfreiheit ist eine der grundlegenden und absoluten Rechte des Menschen als solchem. Der Weg der Mission muss vom Respekt vor der Würde und Auffassung des Anderen geprägt sein. Von daher geht es um Zeugnis in und durch dialogische Beziehungen. Der Glaube ist von seinem Wesen her bittend und einladend vorzulegen (vgl. 2 Kor 5,20), nie aber aufzuzwingen (faith always is to be proposed not imposed). Jeder einzelne bleibt frei und verantwortlich für seine persönliche Option, im Licht des eigenen Gewissens und im Angesicht Gottes.

 

IV. Christen antworten

 

1. Im Hinblick auf die Vielfalt der Religionen

 

Die Vielzahl der Religionen ist ein Geheimnis. Es hat wohl einerseits etwas zu tun mit Gottes Achtung vor der Freiheit des Menschen und anderseits mit den natürlichen Bedingungen der religiösen und kulturellen Entwicklung der Menschheit. Jahrtausende lang lebten die größeren Gruppen der Menschheit in Isolation voneinander, in Europa, in Asien und in Amerika. Heute ist die Welt durch vielfältige Vernetzung und das Bewusstsein der gegenseitigen Abhängigkeit gekennzeichnet. Freilich gibt es auch heute noch mannigfaltige Spannungen und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen menschlichen Gruppen. Die Religionen haben hier eine bedeutende Rolle zu spielen und sind so mitverantwortlich für die Realisierung größerer Gerechtigkeit und Harmonie in den Beziehungen zwischen den Nationen, den wirtschaftlichen Blöcken und kulturellen Gruppierungen unserer Welt. Jeglicher Konflikt (Polemik, taktloser Prosyletismus) zwischen Religionen muss gebannt werden, so wie Synkretismus, der die Originalität und Authentizität der Religion zerstört, zu meiden ist. Nur der Dialog und der damit gegebene Prozess des gegenseitigen Lernens kann die Religionen auf einander hin öffnen, sodass die Menschen in Verschiedenheit zueinander finden und einander besser kennen und verstehen lernen. Dabei geht es nicht darum, Differenzen in Abrede zu stellen, sondern eher darum, sie zu erfassen, wo und worin sie wirklich bestehen. Auch schließt der Dialog keineswegs aus, jeweils den eigenen Glauben zu bezeugen und die anderen einzuladen, dass auch sie das anerkennen, was man selbst als wahr und wertvoll erkannt hat. In dieser Weise sollten die Gläubigen verschiedener Religionen, wo immer möglich, versuchen, gemeinsam ein Zeugnis des Glaubens zu geben, einschließlich eines wirklichen Suchens nach Einheit, in demütiger Unterwerfung unter Gottes Willen.

 

2. Vielfalt „universaler“ Religionen

 

Es ist eine Tatsache, dass Islam und Christentum den Anspruch auf Universalität stellen. Es besteht kein Grund, warum sie diesen Anspruch aufgeben sollten. Alles hängt davon ab, welche Methoden angewandt werden auf dem Weg zur Erreichung dieser Universalität. Methoden, die mehr auf individuellem oder kollektivem Ehrgeiz beruhen, sollten heute aufgegeben werden: Unterstützung seitens politischer Mächte, Gewalt, Krieg, Zwang in allen seinen – auch den subtileren – Formen und Erscheinungsweisen. Der einzige vor Gott und Menschen akzeptable und würdige Weg, den Werten, die man für wahr und gültig hält, universale Anerkennung zu verschaffen, ist das Zeugnis eines lebendigen Glaubens, Dialog und geistlicher Wettstreit, mit dem nötigen Respekt für die freie Entscheidung von Personen und Gewissen.

 

3. Religionen verantwortlich für Kriege

 

Wir müssen zugeben, dass Religionen in der Vergangenheit verantwortlich, oder doch wenigstens mitverantwortlich für Kriege gewesen sind und dass es damit auch heute noch kein Ende hat. Das Ganze ist eine Frage von Licht und Schatten. Im Laufe der Geschichte hat der Faktor Religion bei mehr als einer Gelegenheit Gewalt verhindert oder gemäßigt. Denken wir z. B. an die Institution des „Landfriedens Gottes“ während des christlichen Mittelalters oder an die strikten Bedingungen, die das islamische Recht an einen „gerechten Krieg“ knüpft; oder an die von den Religionen angemahnte Sorge für die Kriegsgefangenen und unschuldige Opfer usw. Außerdem war der Hauptgrund für die genannten Religionskriege nicht so sehr Feindseligkeit zwischen den Religionen selbst, als vielmehr die Sucht und der Durst nach Macht von Individuen und menschlichen Gruppen (Reiche, Dynastien und Nationen), wobei die Religion benutzt wurde, um persönlichen oder kollektiven Ehrgeiz zu befriedigen. Was schließlich zeitgenössische Konflikte angeht, so gilt es, Informationen kritisch zu prüfen, bevor man sie einfach religiösen Motivationen zuschreibt: Libanon, Nordirland, Balkan, Philippinen, Afghanistan sind Beispiel dafür, wie vereinfachend es wäre, die dortigen Konflikte schlechtweg als religiöse zu bezeichnen. Tatsache ist, das in den meisten dieser Fälle religiöse Autoritäten, weit davon entfernt, diese Auseinandersetzungen geschürt zu haben, sich im Gegenteil immer wieder vehement für Frieden und Versöhnung eingesetzt haben.

 

4. Über Religionsfreiheit(64)

 

Die Religionsfreiheit stellt eines der unantastbaren Rechte jeder menschlichen Person dar. Sie zu unterdrücken, oder auch nur mit Fesseln zu versehen, ist eine Verhöhnung Gottes und des Menschen. Es ist die Verbindung von Religion und Staat (oder, heute auch, der Verbindung von Nationalismus und Staat oder praktischem Atheismus kapitalistischer oder sozialistischer Art mit einem Staatsapparat), die in der Vergangenheit – und auch heute noch – an erster Stelle verantwortlich war für erhebliche Verstöße in diesem Bereich. Alle Religionen haben das Recht, sich von solchen Systemen zu befreien und deren letzte Resistenz gegen die effektive Durchsetzung der Religionsfreiheit zu brechen.

 

Jedermann, ob Christ oder Muslim, lebt und setzt sich ein für die Solidarität mit seiner eigenen religiösen Gemeinschaft oder Gruppe und deren Frieden und Wohlergehen, ob es sich nun um umma oder Kirche oder andere Gruppen handelt. Es gilt jedoch gleichzeitig, die freie Entscheidung einer Person bezüglich des Glaubens und der Religionszugehörigkeit voll und ganz zu respektieren, sofern eine solche Entscheidung nach dem Gewissen und gemäß dem von Gott erhaltenen Licht gefällt wurde. Das einzige bindende Gesetz in diesem Bereich ist das Befolgen der Stimme des eigenen Gewissens, d. h. des Gewissens, das ehrlich nach der Wahrheit sucht. Nur Gott kann die Herzen prüfen und richten. Um der Echtheit des Glaubens und der Religion willen müssen diese in totaler Freiheit zu wählen bzw. abzulehnen sein. Dabei ist jeder von uns aufgefordert, ständig auf der Suche nach Gottes Willen zu bleiben.

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  • (64) Mit der „Erklärung über die Religionsfreiheit“ (Dignitatis Humanae) hat sich die Katholische Kirche unwiderruflich dem Grundsatz der religiösen Freiheit in der Gesellschaft verpflichtet.

Kontakt

J. Prof. Dr. T. Specker,
Prof. Dr. Christian W. Troll,

Kolleg Sankt Georgen
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